Fleisch ist mein Gemüse
Anlass, daran zu denken. Es ging jedenfalls gar nichts. Dabei wollte ich doch unbedingt mal wieder eine Erfahrung machen, von der ich Jahre würde zehren können. Maike wirkte auch unzufrieden, sagte aber nichts. Wir taten beide, als würden wir schlafen, aber in Wahrheit habe ich kein Auge zugetan. Gegen Mittag brachte ich sie zum Bahnhof. Schweigend warteten wir auf ihren Zug. Wir wussten, dass wir uns nie wieder sehen würden.
Ich fand die Bezeichnung
Starrer
für mich angemessen. Starrer verfolgen mit gierigen Augen alles Weibliche. Sie empfinden jede halbwegs attraktive Frau gleichzeitig als Provokation und als Demütigung. Der Starrer erfreut sich nicht am Anblick eines schönen Mädchens, sondern bekommt sofort Depressionen, denn er weiß, dass er sie niemals besitzen wird. Starrer lächeln niemals, sie haben nichts zu lachen. Ihnen fehlt neben Charme auch jede Leichtigkeit, daher sind sie vollkommen unfähig zu flirten. Wenn sie, was sehr selten vorkommt, von einer Frau angeschaut werden, schauen sie sofort weg. Zum einen fühlen sie sich ertappt, da sie die ganze Zeit über nur schweinische Gedanken haben, zum anderen können sie sich überhaupt nicht vorstellen, dass irgendeine Frau sich für sie interessiert. Starrer stehen auf der alleruntersten Stufe der sexuellen Hierarchie, sie sind das ausgemusterte Subproletariat. Der Selektionsdruck gerade in urbanen Gegenden wird immer höher. Alternde Starrer hoffen inständig, dass die libidinöse Umklammerung irgendwann ein wenig nachlässt. Doch die Libido ist erbarmungslos. Auch unzählige junge, noch nicht mal besonders hässliche Männer gehören zum sexuellen Bodensatz. Man kann manchmalgar nicht genau sagen, warum der eine Starrer wird, der andere jedoch freie Auswahl hat. Fein herausgeputzt und gut duftend setzen sich die Starrer immer wieder dem unmenschlichen Amüsierdruck des Nachtlebens aus, nur um vollkommen vereinsamt nach Hause zu kommen. Starrer sind verflucht, verdammt zum ewigen Starren.
Ich habe damals ein Gedicht darüber geschrieben. Es trägt den Titel
Stupor
.
«Dein Blick saugt sich fest
An der nicht enden wollenden Parade der Körperteile.
Stundenlang lädst du dich auf.
Irgendwann schleichst du keuchend davon,
Zurück in deine verklebte, dunkle Wohnung.
Schwitzende Hände fangen sofort an zu pumpen,
Dein Spargel schreit nach Erlösung, stich ihn heraus, stich ihn heraus!
Doch du kannst melken und melken und melken;
Du legst den Sumpf niemals trocken.
Von ranzigem Sud verschmierte Hände zittern vor unstillbarer Gier,
Kochendes, blutendes Verlangen tötet jeden Gedanken.
Wund gelegen blökst du wie ein sterbendes Tier.
Du kannst deinen Blick nicht mehr wenden von deinem zerfetzten Johannes.
Psychotisches Erwachen in ranziger Bettstatt,
Vom sauren Nachtschweiß getränkt.
Fassungslos schaust du herunter
Auf deine blau gekeulten Beutel.
Deine hässlichen Augen brennen,
Du hast dir aus Versehen ins Gesicht gespritzt.
Spastisches Zucken im Stupor, du flehst in höchster Not:
Wenn nur endlich jemand käme, dir die Arme zu brechen!
Ganz am Ende liegst du da,
Mit gebrochenem Becken,
Und versuchst mit letzter Kraft,
Dich am Gips zu reiben.
Festgeklebt am eigenen Schmand
Zuckst du noch ein, zwei Tage,
Bis die Masse endlich hart wird und verkrustet.
Dann kommen bald schon die Männer und hauen die Placken ab mit großen Stöcken.»
Eines schönen Tages hatte ich es bis zum späten Nachmittag bereits auf eine beachtliche Zahl von Entsaftungen gebracht, als das Telefon klingelte. Ich war gerade wieder fertig geworden und ging mit noch offenen Hosen zum Telefonapparat.
«Strunk, guten Tag.»
«Na, hat’s Spaß gemacht?»
«Hä, was ist? Wer ist denn da überhaupt?»
«Wenn ich richtig mitgezählt habe, war das heute schon das dritte Mal. Hast du noch gar keine Schwielen an den Händen?»
«Jetzt reicht’s aber. Was wollen Sie überhaupt?»
«Den ganzen Tag melken. Du bist vielleicht ’ne arme Sau.»
Ich kannte die Stimme nicht und starrte erschrocken durchs Wohnzimmerfenster. Der Typ konnte überall und nirgends sitzen, wie ein Scharfschütze in Politthrillern. Ich zog mir die Hosen hoch.
«Mann, du bist vielleicht ’ne arme Sau.»
Ich legte auf und zog in panischer Hast die Vorhänge zu. Sie blieben ab sofort und für immer geschlossen.
1993
Faslam
Norbert und ich wurden immer älter, doch der Nachschub an neuen, immer noch jüngeren Biestern schien nicht zu versiegen. Mein liebster
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