Fleisch und Blut 2: Thriller (German Edition)
konnte sie sehen, was George sah. Sie konnte sogar die Gier spüren, die in seinem Körper loderte und ihn von innen heraus verschlang. Die Gier , die seine Gedanken verzehrte, bis nichts mehr von ihnen übrig war, außer dem abgrundtiefen Verlangen nach Blut. Es war ein animalischer Trieb – ohne jeglichen Verstand.
Seit Monaten muss te sie Nacht für Nacht miterleben, wie George eine blutige Spur quer über die Landkarte zog, während er sich seinen Weg nach Süden bahnte.
Und mordete.
Ein einziger Biss von ihm hatte ausgereicht, um diese Veränderung zu bewirken. Doch Claire wusste insgeheim, dass es mehr war. Es ging schon längst nicht mehr nur um die körperlichen Symptome, die sie seitdem plagten. Vielmehr kam es ihr inzwischen so vor, als hätte dieser eine Biss sämtliche Stränge durchtrennt, die sie bis dahin mit ihrem alten Leben verbunden hatten.
Seit jener Nacht in der Jagdhütte war Claire nicht mehr dieselbe und sie wusste, dass sie es auch nie wieder sein würde. Karriere, Freunde und Erfolg – all das war für immer in den Hintergrund getreten. Ihr gesamtes bisheriges Leben war zu einer verschwommenen Kulisse für den Wahnsinn geworden, der letzten Herbst in ihr Leben getreten war. Und genau diesen Wahnsinn galt es zu besiegen. Der einzige Weg, das zu tun, war George zu finden.
Ihn zu finden und zu...
...töten?
Claire wusste es nicht.
Das Einzige, was sie wusste, war, dass sie so schnell wie möglich nach Plain Rock gelangen musste – in die Stadt, die seit einigen Wochen jede Nacht in ihren Träumen wiederkehrte.
In die Stadt, in der George war.
Die Gründe dafür lagen für Claire ebenso im Verborgenen wie das, was sie bei ihrer Ankunft in Plain Rock erwarten würde. Dennoch war der Wunsch aufzubrechen mit jedem Tag stärker geworden. Er hatte ihre Gedanken in Beschlag genommen und sie von innen heraus zersetzt. Mit jedem Tag, der verging, sehnte sie sich mehr danach, endlich aufzubrechen. Deswegen fühlte sie sich schon seit Monaten wie ein Zugvogel, der instinktiv wusste, dass die Zeit gekommen war, um die Flügel auszubreiten und der eigenen Bestimmung zu folgen.
Trotzdem hatte Claire diesem Verlangen nicht sofort nachgegeben. Stattdessen hatte sie dagegen angekämpft und den inneren Drang unterdrückt, der inzwischen ihr gesamtes Denken eingenommen hatte.
Plain Rock, Plain Rock, Plain Rock...
Dadurch hatte sie etwas Zeit gewonnen. Nicht viel zwar, aber dennoch genug, um sich um ihre Schwester Amanda zu kümmern. Denn obwohl die Geschehnisse des letzten Herbstes inzwischen beinahe ein halbes Jahr zurücklagen, ging es Amanda nicht besser.
Klar , dachte Claire, die körperlichen Symptome waren abgeklungen: Ihre Narben waren verheilt und ihre Haare ein bisschen nachgewachsen. Doch das war es auch nicht gewesen, was Claire die größten Sorgen gemacht hatte. Vielmehr hatte sie Angst um Amandas geistige Verfassung:
Ihre Alpträume waren von Tag zu Tag schlimmer geworden und auch ansonsten ging es ihr nicht gut. Sie kapselte sich immer mehr von der Außenwelt ab und wurde teilnahmslos. Mit jedem Tag war es Claire schwieriger gefallen, zu ihr vorzudringen und irgendwann gelang es ihr gar nicht mehr. Zu diesem Zeitpunkt war Amanda bereits so teilnahmslos wie eine Zimmerpflanze. Sie redete nichts, aß kaum und sah ausgezehrt und kaputt aus. Jeglicher Glanz war aus ihren Augen verschwunden und alle Schönheit aus ihrem Gesicht. Sie war zu einer leeren Hülle geworden, in die sich der Wahnsinn eingenistet hatte, wie ein Termitenschwarm in einem morschen Türstock.
Einige Zeit lang hatte Claire versucht, sich einzureden, dass auch diese Leiden von alleine wieder abklingen würden. Zumindest hatte sie genau das inständig gehofft. Doch als sie Amanda eines Nachts mit durchgeschnittenen Pulsadern in ihrem Bett fand, entschied sie, dass es an der Zeit war zu handeln und professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Doch das war gar nicht so einfach. Denn immerhin wusste Claire, dass sie als vermisst galt und dass deswegen nach ihr gefahndet wurde. Natürlich hätte sie sich der Polizei stellen können, um ihre Version der Ereignisse zum Besten zu geben und sich dadurch von jeglicher Schuld zu befreien, doch insgeheim hatte sie gewusst, dass das keine allzu gute Idee war. Zumindest dann nicht, wenn sie nicht selbst für immer in einer geschlossenen Irrenanstalt enden wollte.
Stattdessen hatte sie den einzigen Menschen kontaktiert, zu dem sie überhaupt noch Vertrauen hatte: Ihren
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