Fleisch und Blut 2: Thriller (German Edition)
gewöhnlich überhaupt zumuten konnte. Sie hatten durch einen hindurch geblickt, so als würden sie an irgendeinen entfernten Punkt am Horizont schauen. Irgendwo dort, wo sich alles Seiende im ewigen Wirbel des Kosmos verlor und wo der Schmerz der gesamten Welt in die Gleichgültigkeit des Todes einmündete und für immer aufhörte zu sein.
Tausend-Meilen- Blick hatte man das damals genannt und Teddy konnte sehr gut nachvollziehen, warum die Jungs ihn so genannt hatten. Wenn er in diesem Augenblick Andy ansah, dann bekam er eine Gänsehaut und der Schrecken längst vergangener Tage kroch ihm in die Knochen und ließ ihn frösteln. Er musste sich von dem Jungen abwenden, um sich wieder etwas zu beruhigen.
I nzwischen hatte er es jedoch aufgegeben, nach einer Position zu suchen, in der sein Arm nicht schmerzte wie ein abgerissener Schwanz. Während Andy erzählt hatte, waren die Schmerzen Stück für Stück wieder zurückgekehrt. Die Wirkung des Whiskeys hatte inzwischen vollkommen nachgelassen. Das Adrenalin hatte ihn aus Teddys Blutbahn gespült und dafür gesorgt, dass keine Barriere mehr bestand zwischen ihm und dem Glutofen des Schmerzes, der noch vor wenigen Stunden sein linker Arm gewesen war. Bei jeder noch so kleinen Bewegung konnte er spüren, wie die Knochen an der Bruchstelle knirschend aneinanderrieben.
Dennoch hielt sich Teddy tapfer und ließ sich nichts von den Qualen anmerken, die er in diesen Stunden durchlebte. Zum einen widersprach es schlichtweg seinem Charakter, Schwäche zu zeigen und zum anderen glaubte er nicht, dass er in diesem Augenblick derjenige war, der Höllenqualen durchmachte. Sein gebrochener Arm, dachte er, würde früher oder später heilen. Doch das, was der Junge durchgemacht hatte, würde bis zum Rest seines Lebens Narben hinterlassen. Tiefe, hässliche Narben sogar – und das an einer Stelle, an die die moderne Schönheitschirurgie bisher noch nicht vorgedrungen war.
Vorausgesetzt natürlich, dass die Geschichte des Jungen stimmte.
Genau in dieser Hinsicht hatte Teddy so seine Zweifel. Klar, dachte er, der Junge hatte seine eigene Mutter erschossen. Doch der Grund, den er ihm dafür genannt hatte, war für Teddy nichts weiter als die Phantasie eines Wahnsinnigen. Und je länger Teddy darüber nachdachte, umso unwohler fühlte er sich bei dem Gedanken, dass der Junge noch immer bewaffnet war. Denn falls er tatsächlich seine eigene Mutter erschossen hatte, dachte Teddy, dürfte er keine allzu großen Skrupel haben, auch ihm bei der nächsten Gelegenheit eine Kugel zu verpassen.
Der Junge war gefährlich, dachte Teddy. Er musste verdammt nochmal auf der Hut sein und versuchen, ihm in einem geeigneten Augenblick die Waffe abzunehmen.
„Sie glauben mir nicht“, erklang Andy s Stimme und riss Teddy aus seinen Gedanken. Teddy hörte deutlich den Unterton, der in den Worten des Jungen mitschwang. Es war keine Frage, dachte Teddy, sondern eine Feststellung. Der Junge hatte seine Zweifel durchschaut.
„Hör zu, Junge“, sagte Teddy, „es ist schon eine Mordsgeschichte, die du mir da aufgetischt hast. Im wahrsten Sinne des Wortes. Ich brauche etwas Zeit, um mich an die Vorstellung zu gewöhnen, dass dieser Ort voller Monster ist, die es nicht erwarten können, über jeden herzufallen.“
„Es sind keine Monster“, sagte Andy.
„Sondern?“
„Vampire.“
„Ach ja?“, fragte Teddy. Er konnte spüren, dass der Junge wirklich an die Worte glaubte, die ihm in diesem Augenblick über die Lippen kamen. Deswegen beschloss er, nicht allzu viel Kritik durchblicken zu lassen. Zumindest, dachte er, solange der Junge noch den gottverdammten Revolver bei sich hatte.
„Ja“, sagte Andy, „ich habe es mir ganz genau überlegt. Es müssen Vampire sein. Auf jeden Fall. Die Gier nach Blut, die Angst vor dem Sonnenlicht und die langen Zähne. Es ist genau so wie in all den Comics und Filmen. Plain Rock ist zu einem Vampirnest geworden und wir beide sind die letzten Überlebenden in dieser Stadt der Untoten.“
„Hör mal, Junge“, sagte Ted dy, „das echte Leben hat nicht sehr viel mit Comics gemeinsam und auch nicht mit Filmen. Was hältst du davon, wenn wir endlich von diesem verdammten Dachboden verschwinden und uns irgendwo etwas zu essen suchen. Ich geb dir ‘ne Schokomilch aus und einen Stapel Pfannkuchen, so hoch wie das Empire State Building. Was hältst du davon?“
Teddy konnte sehen, wie sich das Gesicht des Jungen mit jedem seiner Worte weiter
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