Fleisch und Blut 2: Thriller (German Edition)
seinen Gedanken zu lösen. Er blieb ebenfalls stehen, stemmte seinen gesunden Arm in die Hüfte und streckte sich. Dann sah er sich um.
Und mit jeder Sekunde, die verging, beschleunigte sein Herzschlag und wuchs seine Besorgnis. Denn das, was in der Nacht zuvor nur eine dunkle Ahnung gewesen war, wurde in diesem Augenblick immer mehr zu einer schrecklichen Gewissheit: In Plain Rock stimmte irgendetwas nicht.
Ganz und gar nicht, Teddy alter Junge...
Sie waren inzwischen an der Hauptstraße angelangt, die quer durch die Stadt verlief. Obwohl Teddy noch nie in Plain Rock gewesen war, so wusste er, wie das Leben in solchen Nestern für gewöhnlich ablief – schließlich war er selbst in einem solchen geboren und aufgewachsen. Deswegen wusste er, dass gerade frühmorgens sämtliche Bürgersteige voll sein müssten – mit allerlei Menschen, die Besorgungen machten und ihren Geschäften nachgingen.
Doch genau darin lag das Problem – das absolute Gegenteil war der Fall: Die Stadt war wie ausgestorben. Die Fensterläden der meisten Häuser waren geschlossen, die Bürgersteige und die Straße n komplett leer. Und auch ansonsten deutete nichts auf die typische morgendliche Geschäftigkeit einer Kleinstadt des mittleren Südens.
Nein, dachte Teddy, vielmehr sah es so aus, als wären er und der Junge die einzigen Menschen, die sich in diesem Augenblick überhaupt noch in Plain Rock aufhielten. Er war vom Motorrad gefallen, hatte sich den Arm gebrochen und war schnurstracks in eine gottverdammte Geisterstadt gelaufen. Allein der Gedanke daran sorgte dafür, dass sich Teddys Nackenhaare aufstellten und ein eisiger Schauder durch seine Glieder fuhr.
Im gleichen Augenblick drehte sich Andy zu ihm um und sah ihm tief in die Augen. In diesem Augenblick konnte Teddy spüren, dass der Junge seine Angst und seine Zweifel ganz genau erkannt hatte. Teddy versuchte zwar, sich nichts davon anmerken zu lassen, doch insgeheim wusste er, dass er ein lausiger Schauspieler war und dass es ihm noch nie im Leben wirklich gelungen war, seine Mitmenschen über das hinwegzutäuschen, was am Grund seiner Seele vor sich ging.
„Wo sind alle?“, fragte Teddy und achtete dabei sehr genau darauf, da ss die Frage so beiläufig klang wie nur möglich.
„Wer?“, fragte Andy.
„Na die ganzen Leute? All die Bewohner von Plain Rock?“
Ein Lächeln huschte über Andy s Lippen. Teddy sah, dass dieser Ausdruck nichts Komisches an sich hatte. Vielmehr, dachte Teddy, war es eine zynische Miene, die das Gesicht des Jungen viel älter aussehen ließ, als es in Wirklichkeit war. In diesem Augenblick sah er in die Augen eines alten Mannes, der in seinem Leben so viel durchgemacht hatte, dass ihm nichts weiter übrig blieb, als dem Schicksal mit einem Lächeln zu begegnen – ganz egal, welche Qualen es womöglich noch für ihn bereithielt. Bei diesem Gedanken jagte ein weiterer Schauder durch Teddys Körper und ließ ihn für einen Augenblick die brütende Hitze vergessen.
„Sie schlafen“, sagte Andy, „kommen Sie mit – ich zeig’s Ihnen.“
Teddy erwiderte nichts, sondern setzte sich einfach wieder in Bewegung. Sie liefen die Hauptstraße entlang und er sah sich immer wieder nach irgendwelchen Lebenszeichen um. Nach irgendetwas, das ihm gesagt hätte, dass sie an diesem Morgen nicht vollkommen allein in der Stadt waren.
Doch er konnte nichts erkennen. Alles machte einen verlassenen Eindruck, so als wäre er letzte Nacht in einer Geisterstadt gelandet. Einer Geisterstadt, aus der alle Menschen ohne Wiederkehr verschwunden waren.
Hör endlich auf, an Geisterstädte zu denken, verdammt nochmal!
Doch wenn Teddy genau hinsah, dann merkte er, dass auch an diesem Gedanken etwas nicht stimmte. Denn die komplette Hauptstraße sah so aus, als wäre das Unheil geradezu über Nacht über all die Menschen in Plain Rock gekommen: Die Auslagen in den Geschäften waren noch immer prall gefüllt, in Plastikfolie eingeschlagene Zeitungen lagen vor den Hauseingängen und auch ansonsten hatte Teddy den Eindruck, dass das Leben in der Stadt bis vor Kurzem noch ganz normal gewesen sein musste.
Je mehr sich Teddy in diesen Gedanken hineinsteigerte, umso schwieriger wurde es für ihn, eine plausible Antwort auf die Frage zu finden, wo all die Bewohner der Stadt geblieben waren.
Schließlich blieb Andy erneut stehen und wandte sich zu ihm um.
„Hier sind wir“, sagte er und zog den Revolver hinter seinem Gürtel hervor.
„Wo sind wir?“, fragte Teddy, ohne
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