Fleisch und Blut 2: Thriller (German Edition)
niemand den Kopf darüber. Niemand hatte auch nur den Hauch einer Ahnung, was wirklich im Hintergrund passierte. Stattdessen hielten alle die Füße still und warteten darauf, dass alles wieder normal wurde.
Doch das wurde es nicht, Miss Hagen. Stattdessen wurde es mit jedem Tag schlimmer.
Am letzten Tag, an dem ich noch in die Schule ging, war ich einer von nur fünf Schülern, die es überhaupt noch geschafft hatten. Plain Rock ist eine Kleinstadt und hat daher nur eine Gesamtschule, die von allen Kindern besucht wird. Selbst zu den besten Zeiten waren das nie mehr als 70 Kinder, die dort die Schulbänke drückten. Trotzdem war es verdammt gespenstisch, mit den anderen vier Kindern auf dem verlassenen Schulhof zu stehen.
Wir standen dort herum und fühlten uns einsam und verlassen. Die Furcht stand allen ins Gesicht geschrieben und die älteren Kinder mutmaßten schon, dass vielleicht eine neue Form der Schweinegrippe über die mexikanische Grenze zu uns herübergeschwappt war. Irgendein Supervirus, Miss Hagen, das einen Menschen nach dem anderen dahinraffte.
Ich muss zugeben, dass diese Theorie gar nicht so abwegig war. Die Grenze ist nicht weit weg und als vor drei Jahren die Schweinegrippe ausbrach, hatten wir in Plain Rock etliche schwere Infektionen. Daher war unser aller Angst nicht ganz unbegründet, als einer der älteren Jungs darauf zu sprechen kam.
Doch das war natürlich nicht die einzige Theorie, die an diesem Morgen die Runde machte. Spencer Aldrin zum Beispiel war felsenfest davon überzeugt, dass die Regierung dahintersteckte und irgendeinen geheimen Test in der Stadt durchführte. Mit irgendwelchen Giften, wie er sagte, die ins Trinkwasser gemischt wurden. Er selbst und seine Familie, so behauptete er, seien nur deswegen noch wohlauf, weil sie auf ihrem Grundstück einen eigenen Brunnen hatten, während die restliche Bevölkerung auf das städtische Wasserreservoir angewiesen war.
Obwohl ich Spencer eigentlich noch nie richtig leiden konnte, Miss Hagen, so muss ich dennoch zugeben, dass seine Theorie Hand und Fuß hatte. Denn die meisten andere n hatten nämlich damit zu tun, dass die Aliens aus Roswell ausgebrochen waren, sich in Plain Rock versteckten und sich von den Gehirnen der Einwohner ernährten.
Jedenfalls vertrieben wir uns mit solchen Schauergeschichten die Zeit , Miss Hagen. Und ich kann Ihnen sagen, dass keine einzige davon dafür sorgte, dass wir uns wohler fühlten. Nein, vielmehr schaukelten wir uns weiter gegenseitig hoch. Ein Schauermärchen jagte das nächste und mit jedem einzelnen wuchs auch unsere Angst. So lange, bis Lizzie Cussler endlich aussprach, was wir uns inzwischen alle schon dachten:
‚Haltet endlich die Klappe – euer verdammtes Gerede macht mir Angst.‘
Ja, genau das hat sie gesagt, Miss Hagen, und dafür bin ich ihr noch immer dankbar. Sie war das einzige Mädchen in unserer Runde. Damit hatte sie auch als Einzige das Vorrecht, so etwas überhaupt auszusprechen, ohne sofort ihren Ruf zu verlieren. Doch ich schwöre Ihnen, Miss Hagen, selbst die älteren Jungs wie Spencer Aldrin oder Rod Schindler waren froh, als das gruselige Gerede endlich vorbei war. Denn auch sie waren angespannt und schielten von einer Ecke des Hofes zur anderen, so als hätten sie Angst davor, dass irgendwo auf einmal ein grünes Männchen auftauchte, das es auf ihre Gehirne abgesehen hatte.
Und so standen wir dann anschließend nur herum, Miss Hagen. Wir scharrten wortlos mit Füßen auf dem Boden und warteten darauf, dass endlich einer der Lehrer eintraf und das Schulgebäude aufsperrte.
Der einzige Lehrer, der an diesem Tag auftauchte, war Mis ter Brinkman. Er unterrichtete Sport und Mathematik und war außerdem dafür bekannt, dass er in seiner ganzen Laufbahn noch keinen einzigen Schüler hatte durchfallen lassen.
Die meisten Kinder mochten ihn und ich denke, dass wir es an jenem Tag viel sc hlimmer hätten erwischen können als mit Mister Brinkman. Er galt als freundlicher Spaßvogel, der die Kinder zum Lachen brachte und fast nie Hausaufgaben auftrug. Und selbst wenn er es tat, achtete er penibel darauf, dass Wochenenden und Feiertage davon verschont blieben. Wie gesagt, Miss Hagen, er war ein richtig netter Kerl.
Brinkman war zwar überrascht, dass nur so wenige Schüler anwesend waren, beschloss aber sofort, das Beste daraus zu machen:
Wir setzten uns in einen der Klassenräume und paukten ungefähr zwei Stunden Textaufgaben. Sie wissen schon: Ein Zug verlässt
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