Fleisch und Blut - Der Kannibale
und wegen des Übereifers von Köppel.
«Denken Sie wirklich, einer, der unerkannt mehrere Morde begangen hat und sich dabei ein Spiel mit der Polizei erlaubt, lässt sich so einfach überführen? Wo denken Sie hin, Köppel? Halten Sie sich zudem vor Augen, dass im Gesetzbuch das Verspeisen von Menschenfleisch nicht geregelt, also nicht ausdrücklich verboten ist. Es ist ihr Beruf, Gesetzesbrecher zu jagen und nicht solche, die gegen Ethik und Moral verstossen. Die persönlichen Gefühle müssen wir in den Griff kriegen. Es geht nicht darum, dass jemand Menschenfleisch isst, sondern wir müssen beweisen können, dass er jemanden umgebracht hat - in unserem Fall, dass er Lukas Brennwald, Jürg Ambauen und Kusi Fricker ermordet hat.»
Kommissar Köppel hatte ein mulmiges Gefühl, als sie eine gute halbe Stunde später vor der Wohnungstür von Lex Reinwarth standen. Köppel drückte den Klingelknopf zwei Mal, und Carla Fuchs tat es ihm gleich und klingelte links bei der Wohnung von Remo Iseli und dem ermordeten Lukas Brennwald.
Weder links noch rechts regte sich etwas. Kein Laut drang aus den Wohnungen zu ihnen.
Köppel rief nach fünf Minuten des Wartens seinen Chef, Kommissar Aemisegger, an. Doch dieser meldete sich nicht, es kam lediglich seine Combox.
«Was nun?», fragte Köppel die Detektivin unschlüssig.
Sie zuckte mit den Schultern: «Meine Meinung kennen Sie ja. Wir sollten Aemisegger nicht zu lange alleine auf dem Hof lassen. Die andere Frage ist, ob Sie jemanden hierher schicken wollen, der an Remo Iseli dran bleibt. Aemisegger könnte recht haben. Remo Iseli könnte sich in Gefahr befinden!»
Kommissar Aemisegger war inzwischen auf dem elterlichen Hof von Lex Reinwarth im Zürcher Unterland angekommen. Hier war ausser Wald, Wiesen und drei Bauernhäusern und einer grösseren Scheune weit und breit nichts zu sehen. Auch kein Hundebellen war zu hören und selbst aus dem dunklen Wald kam kein Laut. Die Stille war beängstigend. Er drehte sich einmal um sich selbst und fragte sich, was er als Nächstes unternehmen sollte. Dass ihm der Täter geständig in die Arme laufen würde, schien definitiv nicht der Fall zu sein. Hier war er allein, allein in einem Waldgebiet in einem verlassenen Weiler. Die Menschen schienen ausgeflogen oder ausgestorben zu sein. Ob er Köppel anrufen sollte? «Verflucht! Kein Empfang hier!»
Na gut, wenn keine Menschenseele hier herumstrich, dann konnte ihm auch nichts geschehen. Von dieser Seite her betrachtet war es immerhin beruhigend. Oder hatten sich im Erdgeschoss des vordersten Hauses etwa die Vorhänge bewegt?
Entschlossen ging Aemisegger der Hausfassade entlang bis er zu einer Türe gelangte, und er klopfte an. Die Türe wurde von innen mit einem Ruck geöffnet. Vor ihm, im dunklen Korridor, stand ein kräftiger Mann, der Aemisegger um mindestens einen Kopf überragte. Er war in eine Kutte gekleidet, trug schwarze, geschnürte Stiefel. Als der Mann mit kahlgeschorenem Haupt den Kommissar erblickte, grinste er ihn an. Dann begann er laut zu lachen. Aemisegger stand verwirrt im Türrahmen. Normalerweise würde er jetzt sagen: «Darf ich hereinkommen?»
Der Kommissar musste sich eingestehen, dass er in diesem Fall nur begrenzt den Drang dazu verspürte.
Der Mann grinste noch immer und musterte den Kommissar mit funkelnden Augen von Kopf bis Fuss und wieder zurück, wobei der Blick in der Hüftgegend länger hängenblieb. Er rümpfte dabei einmal die Nase, als ob ihn der Regenmantel ärgerte, der ihn von einem detaillierteren Betrachten abhielt.
«Ich habe Sie bereits erwartet.» Sein Lachen hörte sich düster und dreckig an. Aemisegger versuchte, sein Unbehagen zu verbergen. Er prüfte, unter genauer Beobachtung seines Gegenübers, ob er seine Knarre gut sitzen hatte und gab sich gespielt locker, als er sagte: «Aemisegger, Mordkommission. Darf ich reinkommen?»
«Klar, kommen Sie rein. Wie erwähnt, ich habe Sie erwartet. Warum haben Sie ihren jüngeren Kollegen nicht mitgebracht?»
Es war wieder die Art, wie er es sagte, die Aemisegger zusammenzucken liess. Er wusste nicht mehr, ob es richtig gewesen war, das Haus zu betreten. Er musterte diesen Reini, den er als Typ Computerfreak in Erinnerung hatte, genauer. Gegen aussen zeigte der sich angepasst, freundlich und korrekt. Er war ein stolzer Mann mit einem Zahnpastalächeln, wie man es aus der Werbung kannte. Für seine hohe, heisere Stimme, die sich anhörte, als wäre er
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