Fleisch und Blut: Thriller (German Edition)
Kabinen .
Als sie die Spülung betätigte, konnte sie spüren, wie die Brandblase an ihrem Zeigefinger aufplatzte. Es fühlte sich so an, als würde man eine reife Kirsche zwischen den Fingern zerquetschen. Im Ge gensatz zu vorhin konnte sie den Schmerz jetzt klar und deutlich spüren. Er schoss durch ihre Hand, direkt bis zum Ellenbogen und ebbte erst an ihrer Schulter ab.
Claire besah das Pflaster an ihrem Zeigefinger. Es war völlig aufgeweicht und blutig. Sie nahm es ab und entsorgte es in der Kloschüssel. Dann inspizierte sie noch einmal ihren Finger . Sie hielt ihn sich ganz nah vor das Gesicht, um im schwachen Lichtschein der Toilettenkabine überhaupt etwas zu erkennen.
Die Blase war gerissen und hin g jetzt schlaff von ihrem letzten Fingerglied , wie ein geplatzter Luftballon, der sich in einem Lattenzaun verfangen hatte . Die Wunde nässte zwar ein wenig, doch Claire glaubte nicht , dass sie sich entzünden würde . Sie wollte die Hand wieder senken, als ihr plötzlich ein vertrauter Geruch in die Nase stieg. Er w ar schwach und sie nahm ihn kaum wahr. Sie musste die Hand ganz nah unter die Nase halten, ehe sie ihn deutlicher wahrnahm:
Er war süßlich und schwer – und Claire wusste sofort , dass es keiner der Düfte war, nach denen ihre Lotionen und Cremes rochen. Dennoch wusste sie, dass sie ihn schon einmal gerochen hatte.
Vor gar nicht mal allzu langer Zeit.
Sie schnupperte noch einmal an ihrem Finger und die Erinnerung schlich sich plötzlich in ihren Verstand :
John! Es war der süßlich e Geruch, der von John ausgegangen war, als er ihr die Hand gereicht hatte . Sie hatte ihn zweimal gerochen: Sowohl bei seiner Ankunft, als auch beim Abschied .
Wahrscheinlich war es nur eine extravagante Handlotion für Männer, dachte Claire und senkte ihre Hand wieder. Doch ihre Gedanken ließen s ich nicht mehr mit nahe liegenden Erklärungen abspeisen. Vielmehr versuchten sie die Grenzen, durch die ihr Verstand abgesteckt war , zu untergraben, wie ein schlecht erzogener Hund den Zaun zum Nachbarsgrundstück.
Im Laufe eines einzigen Tag es war ihr Weltbild ins Wanken geraten . Mehr noch: Es lag komplett in Trümmern . Kein Stein war mehr auf dem anderen geblieben und Claire ahnte, dass es verdammt lange dauern würde, bis sie wieder in der Lage sein würde, an irgendetwas zu glauben. Nichts war mehr so, wie es auf den ersten Blick schien. Sie hatte herausgefunden, dass ihre Schwester ein...
...Vampir...
...Monster war . Der einzige Mensch, mit dem sie darüber gesprochen hatte, war to t und sie selbst stand kurz vor einem Nervenzusammenbruch.
Was auch immer es mit dem Geruch auf sich hat, dachte sie, es muss te eine tiefere Bedeutung haben.
Doch gerade diese wollte sich ihr nicht erschließen. Ganz egal wie sehr sie auch versuchte , die Teile dieses Rätsels zusammenzusetzen, es gelang ihr nicht. Jeder Gedanke warf weitere Fragen auf, die allesamt in Sackgassen führten:
Wer hatte John ermordet?
Was war mit Amanda passiert?
Würde alles wieder gut werden?
Die Antwort auf all diese Fragen war die gleiche:
Ich weiß es nicht!
Für Claire war es eine bittere Pille sich die Hilflosigkeit der Lage einzugestehen, in der sie sich in diesem Moment befand.
Schließlich verließ sie die Toilettenkabine, wusch sich vorsichtig die Hände und betrachtete sich im Spiegel über dem Waschbecken : Der vergangene Tag hatte seine Spuren in ihrem Gesicht hinterlassen. Ihr e Haut war aschfahl und sie hatte dicke Augenringe.
Nichts was man nicht mit einer Mütze voll S chlaf wieder gerade biegen könnte!
Doch Claire glaubte nicht, dass sie in dieser Nacht überhaupt ein Auge zubekommen würde. Vielmehr ahnte sie, dass sie in abs ehbarer Zeit nur würde schlafen können , wenn sie die Nachttischlampe neben dem Bett anließ.
Sie verließ die Toilette, bezahlte ihren Kaffee und ging hinaus zu ihrem Wagen. Sie setzte sich hinters Steuer und ließ den Motor an, als erneut die Tankanzeige aufleuchtete.
Sie hatte vergessen zu tanken.
Schließlich fuhr sie die wenigen Meter zur Selbstbedienungszapfsäule und stieg aus. Sie schob ihre Kreditkarte in den Kartenleser an der Zapfsäule und kurz darauf signalis ierte ein grünes Licht, dass mit der Karte alles in Ordnung war.
Claire arretierte den Schlauch an der Tanköffnung und sogleich erklang hinter ihr das Summen der Benzinpumpe.
Ein kalter Wind blies von Osten her über den Parkplatz und ließ sie frösteln. Sie knöpfte ihren Mantel zu und verschränkte die Arme
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