Fleischeslust - Erzaehlungen
eine bewußtseinserweiternde Session bis in den frühen Morgen hinein, und zwar in der unbestritten einzigartigsten aller Kommunikationskneipen, in der Bodhisattva-Bar, oder, wie die Fellachen sie auch nennen, in Ziggys Seemannsgrill, gleich um die Ecke von hier. Na, was sagt ihr dazu?«
Was wir dazu sagten? Wir waren sprachlos – stumm, perplex und beinahe zu Tränen gerührt. Der große Mann persönlich – er, der die Halbe, das Viertel und den Cocktail praktisch erfunden und die Kunst, sich damit zuzuschütten, auf den Beat-Gipfelpunkt geführt hatte – wollte uns zwei schlaksige, verdatterte, von zu Hause weggelaufene Minderjährige tatsächlich auf eine echte Kerouac-Kneipentour mitnehmen, auf ein wildes, kreatives nächtliches Besäufnis. Alles, was ich zustande brachte, war ein zustimmendes Nicken, Ricky Keen sagte: »Yeah, klar, echt gut, ey!«, und schon standen wir zu dritt draußen im eisigen Eisregen, auf den Straßen das widerliche Ostküstenglatteis. Ricky auf der einen Seite von Jack, ich auf der anderen, und Jacks Arme vereinten uns. Die Flasche kreisen lassend, kosteten wir die Freiheit auf diesen eisglatten Straßen, in unseren Köpfen brodelte es wirr und fiebrig nach dem fetten Joint mit Mary Jane, der wie durch Zauberei zwischen Jacks Daumen und Zeigefinger aufgetaucht war, und den kleinen benzedringetränkten Filzstreifen, die er uns auf die Zunge legte wie ein Sakrament. Der Wind sang ein Klagelied. Eis prasselte aus dem Himmel auf uns herab. Uns war’s egal. Wir marschierten acht Block weit, unsere Beat-Jacken standen dem Ansturm der Elemente offen, und dennoch spürten wir die Kälte nicht.
Aus der frostig-schwarzen Wüstenei der Long-Island-Nacht schälte sich vor uns Ziggys Seemannsgrill wie eine Zikkurat, ein heiliger Tempel der Beat-Erleuchtung und tiefer Soul-Wahrheiten, erleuchtet nur von den schmalen Neonschleifen der Bierreklamen in den Fenstern. Ricky Keen kicherte. Mir pochte das Herz gegen die Rippen. Ich war noch nie in einer Kneipe gewesen und hatte Angst, mich irgendwie zu blamieren. Aber keine Sorge: wir waren mit Jack unterwegs, und Jack zögerte keine Sekunde. Er rammte gegen den Eingang von Ziggys Seemannsgrill wie ein Footballstürmer, der durch die Abwehrlinie bricht, die Tür zitterte in den Angeln und krachte gegen die Wand dahinter, und während ich nachdenklich die dreiundachtzig Cents in meiner Hosentasche betastete, stürmte Jack die Kneipe mit einem brüllenden »Mach auf die Bar, du Keeper – seht her, ihr verschlafenen Fellachen, hier kommt die Beat Generation!«.
Ich wechselte einen Blick mit Ricky Keen. Die Kneipe war still wie eine Leichenhalle, die Wände waren mit einem kitschigen Hawaiidesign bemalt, auf zwei Plastikpalmen lag der Staub so dick, als wären sie eingeschneit, und es war drinnen fast so finster wie draußen. Der Barkeeper, aufgeschreckt durch Jacks fröhliche vollkehlige Proklamation von Beat-Laune und ansteckender dionysischer Heiterkeit, sah aus der bläulichen Flimmertrance seines Fernsehers auf wie jemand, dem gerade der letzte Hinrichtungsaufschub verweigert worden war. Er hatte fleischige Hängebacken und trug ein dreckiges weißes Hemd, dazu eine kleine Frackschleife, die ihm wie ein totes Insekt auf dem Kragen klebte. Er zuckte zusammen, als Jack seine Beat-Faust krachend auf die Theke sausen ließ und dröhnend bestellte: »Für alle was von allem hier!«
Ricky Keen und ich folgten in Jacks Kielwasser, angeturnt durch die Nähe zum Urpunkt des Beats und von Wein, Marihuana und Speed, die durch unsere weggetretenen Teenie-Adern rasten. Wir blinzelten in das trübe Licht und bemerkten, daß die von Jack so bezeichneten »alle« eine Dreiergruppe bildeten: eine traurige, mystische, stark geschminkte Cocktailkellnerin in Netzstrümpfen und schwarzem Ballettröckchen und zwei stoppelhaarige Fernfahrertypen in blauen Arbeitshemden und braunen Hosen. Der größere der beiden, ein Mann mit einem Gesicht wie ein Stück Rindfleisch, sah mürrisch von seiner Zigarette auf und knurrte: »Maul halten, Arschloch – siehst du nicht, daß wir uns hier konzentrieren?« Dann rotierte der massige geriffelte Nacken zurück, und der Kopf fixierte wieder die Glotze.
Auf der Mattscheibe, die auf dem Wandregal zwischen großen Gläsern mit eingelegten Eiern und polnischen Würsten stand, schnitt der Komiker Red Skelton, eine Weihnachtsmannmütze auf dem Kopf, Grimassen für all die toten, leeren, geistlosen Wohnzimmer Amerikas, und mir wurde mit
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