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Fleischeslust - Erzaehlungen

Fleischeslust - Erzaehlungen

Titel: Fleischeslust - Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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Schminkzeug, zweimal Kleider zum Wechseln, Unterwäsche, ein Nachthemd. Sonst nichts. Gar nichts. Julian umarmte seine Frau auf der Eingangstreppe, ungeduldig beobachtet von Susan Certaine und Dr. Hauskopf, dann waren die Frauen weg.
    Doch jetzt klingelt es an der Tür, und Julian steigt hektisch in seine Hose, sucht nach den Schuhen, während Susan Certaines peitschende Stimme durch das Treppenhaus gellt und ihn zum Handeln treibt. »Mr. Laxner! Aufmachen! Machen Sie auf!«
    Er braucht sechzig Sekunden. Gern hätte er sich noch gekämmt und die Zähne geputzt, sich wieder mit den Parametern des menschlichen Lebens auf diesem Planeten vertraut gemacht, doch so sind es eben nur sechzig Sekunden, und er knöpft sich noch das Hemd zu, als er die Tür aufreißt, um sie hereinzulassen. »Ich dachte... ich dachte, sie hätten acht Uhr gesagt«, ächzt er.
    Susan Certaine steht starr auf der Türschwelle, flankiert von zwei Männern in schwarzen Overalls, auf deren linker Brusttasche das Certaine-Emblem eingestickt ist. Die Männer sind breitschädlig, massig, mit gewaltigen Muskelpaketen an Oberarmen und Schultern. Hinter ihnen, formiert wie ein Football-Team, das einem am Boden liegenden Kameraden zu Hilfe eilt, kommen zahllose andere, alle in Certaine-Schwarz gekleidet. »Stimmt schon.« Sie geht an ihm vorbei ins Haus, ohne ihn auch nur anzusehen. »Aber wir halten unsere Klienten gern ein bißchen auf Trab. Mike!« ruft sie dann. »Fernando!« Darauf folgen ihr die beiden Männer, laufen an Julian vorbei in das wuchernde Dunkel des Hauses. »Also los: Schneisen freimachen, und zwar hier« – sie zeigt auf das hintere Zimmer – »und hier« – und in Richtung der Küche.
    Die Tür steht offen. Draußen auf dem Rasen herrscht ein Chaos aus geschäftigen Menschen, Laderampen, Leitern, Gabelstaplern und zusammengefalteten Umzugskartons, die einstweilen noch zu zwei Meter hohen Bündeln verschnürt sind. Doch schon beginnt ein halbes Dutzend Arbeiter – es sind Arbeiterinnen, wie Julian jetzt erkennt, Frauen nach dem Ebenbild von Susan Certaine: das Haar kurzgeschoren oder streng in den Nacken gekämmt – mit dem Aufstellen der Kisten, in denen sein und Marshas Leben Platz finden soll. Und jetzt kommen noch mehr Frauen, die sich leise in einer Sprache unterhalten, die er nicht versteht, zu fünft, zu sechst, zu siebt marschieren sie an ihm vorbei, in den Händen dicke Rollen mit Strichcode-Klebeband, während auf dem Gartenweg, direkt vor dem Durcheinander auf der Veranda, drei Männer mit Spiegelsonnenbrillen eine spießrutenlaufartige Reihe von Tischen errichten, auf denen sich Computer und Laser-Lesepistolen türmen. Barfuß, unrasiert, ungeduscht, ungekämmt, die Zähne noch nicht geputzt, betrachtet Julian fassungslos die Szenerie – es ist wie eine Invasion. Es ist eine Invasion.
    Als er zehn Minuten später aus der Dusche tritt, um den Leib nur ein Handtuch gewickelt, sieht er vor sich eine kleine Asiatin, die in der Hocke vor dem Schränkchen unter dem Doppelwaschbecken kauert und methodisch darangeht, sämtliche Klopapierrollen, Vaselinetiegel und Gesichtswasserflakons mit Strichcode-Etiketten zu versehen und sie dann ordentlich in einer Schachtel zu verstauen. »Was tun Sie denn da bloß?« fährt Julian sie an. Es ist einfach unglaublich, empörend, mitten in seinem eigenen Badezimmer, doch die Frau lächelt ihn nur aus ihrem zahnlosen Mund an, streckt ihm zwei emporgereckte Daumen entgegen und sagt fröhlich: »Eins a, kein Problem, Chef!«
    Sein Herz rast, er spürt es deutlich, und er bemüht sich um Gelassenheit, versucht sich daran zu erinnern, daß diese Leute ja nur ihren Job erledigen und das tun, was er selbst nie geschafft hat: sie befreien ihn, läutern ihn – aber ehe er sich noch die Hose anziehen kann, erscheinen zwei Frauen mit ihren allgegenwärtigen Aufklebern im Schlafzimmer und durchwühlen die Schubladen. »Raus hier!« brüllt er. »Verschwinden Sie!« Er stürzt auf sie zu, aber es ist, als würde er für sie nicht existieren, als wäre er angesichts der schaurigen Last seiner Besitztümer zur Belanglosigkeit geschrumpft. Stumm, aber beharrlich stehen sie mit gesenkten Köpfen da, während ihre Hände dabei weiterhin seine Taschentücher, Unterwäsche und Socken erkunden, ebenso Marshas Sachen, ihre Schmuckstücke und BHs, ihre Sammlungen von Aschenbechern und birmanischen Lackdöschen und die Glasvitrine, in der ihre »Fingerhüte aus aller Welt« aufbewahrt sind.
    »Na gut«, sagt

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