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Fleischeslust - Erzaehlungen

Fleischeslust - Erzaehlungen

Titel: Fleischeslust - Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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fragte sie.
    »In Century City«, erwiderte ich. »Das ist gleich neben Beverly Hills.«
    »In einer Villa?«
    »In einem Apartment. Ich hab’s sehr nett. Viel Platz.«
    Sie schob die Baseballmütze nach hinten, so daß der Schirm auf dem Scheitel ihres sonnenbeschienenen Haars lag. »Ach, ich habe im Flugzeug gut geschlafen«, sagte sie und lächelte noch etwas breiter. »Ich bin nicht müde. Ich bin überhaupt nicht müde.«
    Für die nächsten zwei Monate sollte Irina mein Gast sein. Sie richtete sich im Gästezimmer ein wie ein Beduine, der einen Wüstenposten bezieht, und innerhalb einer Woche lagen ihre Sachen in der ganzen Wohnung herum, allgegenwärtig, von dem Pandabären auf meinem Fernseher bis zu den Sportsocken unterm Küchentisch und den Liebesromanheften, die den Teppich übersäten wie wuchernde Pilze. Auch mit meinen eigenen Sachen ging sie auf unkomplizierte, ja kommunistische Weise um und dachte sich gar nichts dabei, meine geliebten Coltrane-Platten auf der Couch zu verstreuen oder auf meinem Bianchi-Mountainbike für achthundert Dollar zum Beverly Center hinüberzuradeln, ohne sich um Schloß oder Kette zu kümmern (worauf es prompt geklaut wurde), ganz zu schweigen davon, daß sie das Telefon so benutzte, als würde es Wohnungsinhabern und deren Gästen vom Staat gratis zur Verfügung gestellt. Schlampig, phlegmatisch und träge war sie, das Endprodukt von drei Generationen im Arbeiterparadies, jenes riesigen zerfallenden Reiches, in dem Ehrgeiz und Initiative nahezu nichts galten. Klinge ich verbittert? Ich bin es. Aber all das wußte ich damals nicht, und hätte ich’s gewußt, es wäre mir egal gewesen. Ich sah nur Irinas Lächeln und ihr Haar und die Nähe ihres Fleisches, ich wußte nur, daß sie im Schlafzimmer war, ihre Sachen auspackte und sich zum Abendessen umzog.
    Ich führte sie in ein Sushi-Restaurant auf dem Wilshire Boulevard, wollte sie mit weltgewandtem Savoir-vivre beeindrucken, doch sie verblüffte mich: nicht nur war sie mit ebi, unagi und katsuo durchaus vertraut, sie bestellte darüber hinaus in tadellosem Japanisch. Sie trug ein tief ausgeschnittenes Minikleid aus irgendeinem dünnen glänzenden Stoff, das Haar hatte sie streng zurückgekämmt und zu einem großen, buschigen Knoten hochgesteckt und auch einige Mühe auf ihr Make-up verwendet. Der Sushi-Küchenchef wuselte nur so um sie herum, schnatterte auf japanisch drauflos, verfertigte ihr extra ulkige Kreationen aus Radieschen und Möhren und fuhr sogar seinen kostbaren fugu -Vorrat für sie auf, den japanischen Kugelfisch. Da war ich in dem Restaurant seit mindestens zwei Jahren Stammgast, und er hatte mich kaum je eines Blickes gewürdigt. »Äh, Irina«, sagte ich, als der Koch widerwillig davonschlurfte, um für das Paar am Nebentisch eine Muschelrolle zuzubereiten, »wo hast du Japanisch gelernt? Also, ich bin echt beeindruckt.«
    Sie aß gerade ein Stückchen norwegischen Lachs, hielt inne, tupfte sich die Lippen ab und stieß hervor: »Oh, hat nichts zu bedeuten. 1986 ich war sechs Monate lang in Japan.«
    Ich war überrascht. »Und sie – die Regierung, ich meine, die russische – die haben dich dorthin fahren lassen?«
    Sie zwinkerte mir zu. »Ich war damals Sprachstudentin an der Lomonossow-Universität, Casey... Wie denn soll ich diese Sprachen lernen, wenn ich nicht in die Länder gehen kann, wo man sie spricht?« Sie wandte sich wieder ihrem Teller zu und schnappte sich einen Bissen aus einem der Kunstwerke, die der Küchenchef uns hingestellt hatte. »Und außerdem«, fügte sie mit ihrer dünnen Stimme hinzu, »ich kenne einen Mann in Moskau, der kann Sachen organisieren – sogar schwierige Sachen.«
    Ich hatte Hunderte von Fragen an sie – über das Leben hinter dem Eisernen Vorhang, ihre Jugend und die Uni und diesen mysteriösen Moskauer Wohltäter –, aber statt dessen konzentrierte ich mich auf meinen Sake und ein glitschiges Stück maguro , das mir ständig durch die Stäbchen rutschte, und dachte nur daran, mich mit ihr ins Auto zu setzen und nach Hause zu fahren.
    Auf dem Rückweg war ich etwas angespannt – die Nervosität beim erstenmal, wie sie jeder Mann immer wieder durchmacht, von der Pubertät bis zum Grab: wird sie oder wird sie nicht? –, und mir fiel kein rechtes Gesprächsthema ein. Eigentlich war es auch egal. Irina war reichlich angetütert vom Sake und drei großen Flaschen Asahi-Bier, fuchtelte mit ihrer Zigarette herum, schlug die Beine übereinander, mal nach rechts,

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