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Fleischeslust - Erzaehlungen

Fleischeslust - Erzaehlungen

Titel: Fleischeslust - Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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mal nach links, und ließ genüßlich exotische angelsächsische und romanische Wendungen über die Zunge rollen. Wie nett es doch hier in Amerika sei, fand sie, wie sympathisch, und was für ein hübsches Auto ich hätte, aber sollte ich mir nicht lieber ein sportlicheres Modell zulegen? Ich verdiente wohl viel Geld, was? – das schloß sie daraus, daß ich so spendabel war –, und wie nett es doch war, japanisch essen zu gehen, so etwas gab es in Moskau nur in einem einzigen Restaurant, und auch nur für Apparatschiks.
    Zu Hause genehmigten wir uns im Wohnzimmer einen Digestif – Grand Marnier, sechsundzwanzig Dollar die Flasche; sie goß sich den Schwenker bis zum Rand voll –, während Coltrane »All or Nothing at All« für uns spielte. Wir sprachen über unwichtige Dinge, Nebensächlichkeiten, und sie wurde um so lebhafter, je tiefer der Cognacpegel in ihrem Glas sank. Und dann stand sie auf, ohne ein Wort der Erklärung – tschüs, auf Wiedersehen, gute Nacht und schönen Dank für das Abendessen, nichts –, goß sich nach und verschwand im Schlafzimmer.
    Ich war am Boden zerstört. So ist das, dachte ich bitter, das ist also meine leidenschaftliche russische Erfahrung – hundertzwanzig Dollar für Sushi, eine halbe Flasche Grand Marnier plus die Quälerei durch den Stau zum Flughafen und zurück. Ich saß reglos da, eine leise Übelkeit im Magen, und horchte auf das traurige Klicken des Laufwerks, als die Platte zu Ende war und die Mechanik sich abschaltete.
    Nach all dem, was sie getrunken hatte, dazu die Zeitumstellung und der lange Flug von Moskau, nahm ich an, daß sie bewußtlos ins Bett gefallen sein mußte, aber da irrte ich. Als ich gerade alles hinschmeißen, mich aus dem Sessel und auf mein eigenes, freudloses Lager wuchten wollte, steckte sie den Kopf durch die Tür. »Casey«, murmelte sie mit rauher, gedämpfter Stimme, und im matten Licht sah ich, daß sie etwas Seidiges, Durchsichtiges anhatte – einen Teddy, einen russischen Teddy. »Casey«, gurrte sie, »ich glaube, ich kann nicht schlafen.«
    Etwa eine Woche danach fragte sie mich zum erstenmal, ob ich die Achmatowa kannte. Ich kannte sie, aber nicht persönlich. An sie erinnerte ich mich sogar noch verschwommener als an Puschkin oder Lermontow, eine verblassende Erinnerung an einen schläfrigen Hörsaal.
    »Wir haben sie in der Uni mal durchgenommen«, sagte ich lahm. »Nach ihrem Tod – in den Sechzigern, stimmt’s? Das war ein Grundkurs in russischer Literatur. In Übersetzung natürlich.«
    Irina saß im Schneidersitz auf der Couch, in einem Gewirr aus Zeitungen und Zeitschriften. Sie trug nichts als T-Shirt und Unterhose, und ich hatte soeben fasziniert zugesehen, wie sie ihre Zehen mit einer schimmernden Schicht neonrosa Nagellack überzog. Sie sah kurz zu mir auf und kniff die blaßblauen Augen zusammen. Dann schloß sie sie ganz und fing an zu deklamieren:
    »Vom Jahr neunzehnhundertvierzig
blick ich herab wie von einem Turm;
es ist, als nähm ich abermals Abschied
von allem, von dem ich längst Abschied genommen;
als schlüg ich ein Kreuz und stiege hinab,
hinab ins dunkle Gewölb.
    Das ist aus Achmatowas großartigem ›Poem ohne Held‹. Ist es nicht traurig und doch so schön?«
    Ich sah auf ihre Zehennägel, die im Morgenlicht blitzten; ich sah auf ihre nackten Beine, ihr Gesicht, sah in ihre Augen. Wir gingen jede Nacht aus – ich hatte ihr Chinatown, Disneyland, das Music Center und den Hafen von Malibu gezeigt –, und ich glühte innerlich davon. »Ja«, sagte ich.
    »Es ist ein großes Gedicht über das Sterben für die Liebe, Casey, über einen Dichter, der sich das Leben nimmt, weil seine Geliebte ihn nicht haben will.« Wieder schloß sie die Augen. »Für einen Moment der Ruhe / gäb ich her den himmlischen Frieden...« Sie ließ den Augenblick mesmerisch in der Schwebe, Staubflöckchen trieben in einem Lichtstrahl am Fenster, der Paradiesvogel glänzte golden in der Sonne, kein Verkehr draußen auf der Straße. Und dann sah sie mich an, sanft und verschlagen zugleich. »Sag mir, Casey, wo findet man heute noch einen Helden? Wo gibt es einen Mann, der für die Liebe sterben will?«
    Der nächste Tag war der, an dem sie sich mein Rad beim Beverly Center klauen ließ und wir unseren ersten Streit hatten.
    Ich kam spät von der Arbeit nach Hause – es hatte Probleme mit einem neuen Angestellten gegeben, wie üblich wegen Halbanalphabetismus und Inkompetenz –, und die Wohnung war ein Chaos. Nein, im Grunde

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