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Fleischeslust - Erzaehlungen

Fleischeslust - Erzaehlungen

Titel: Fleischeslust - Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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spürte ihre Erregung. Ich wußte nur, daß wir bald einen gewissen »Rolfe« treffen sollten, einen alten Freund von ihr, der inzwischen eine wichtige Rolle in der Öko-Szene und bei »Rechte für Tiere«, spielte, und danach würden wir eine verzweifelte, gesetzwidrige Handlung begehen, für die uns die Truthähne ewig dankbar wären.
    Ein Lastwagen verdeckte das Schild, das die Abfahrt nach Calpurnia Springs anzeigte, und ich mußte abrupt bremsen und das Lenkrad zweimal herumreißen, um auf der Fahrbahn zu bleiben. Alena fuhr auf dem Sitz hoch, und Alf knallte gegen die Armlehne wie ein Mehlsack, aber wir schafften die Kurve. Bald danach glitten wir durch die gespenstische Leere der Ortschaft, in einem Nimbus aus Nebel zogen Lichter vorbei und glühten rosa, gelb und weiß, dann war nur noch der schwarze Asphalt da und die bleiche Leere, die alles verschluckte. Nach etwa fünfzehn Kilometern bat mich Alena, langsamer zu fahren und musterte mit scharfem, unverwandtem Blick die rechte Straßenbankette.
    Die Erde atmete Dunst. Ich spähte angestrengt in das weiche, wabernde Licht unserer Scheinwerfer. »Da, da!« rief sie, ich bog scharf nach rechts ab, und wir rumpelten einen mit Schlaglöchern übersäten Feldweg entlang, der von der Asphaltstraße abzweigte, eine Art Ziegenpfad, der den Berg hinaufführte. Fünf Minuten später setzte sich Alf auf der Rückbank auf und fing an zu winseln, dann schälte sich ein primitiver, roh gezimmerter Schuppen aus der Unschärfe rings herum.
    Rolfe empfing uns vor dem Haus. Er war groß und wettergegerbt, um die Fünfzig, schätzte ich, mit einem wilden Haarschopf und zerfurchten Zügen, die mich an Samuel Beckett erinnerten. Er trug Gummistiefel, Jeans und ein verblichenes kariertes Holzfällerhemd, das aussah, als wäre es hundertmal gewaschen worden. Alf pinkelte hastig das Haus an, dann wackelte er die Verandastufen hinauf, um sich geifernd vor Rolfes Füßen zu rollen.
    »Rolfe!« rief Alena, mit für meinen Geschmack etwas zuviel Begeisterung und Vertrautheit in der Stimme. Sie nahm alle Stufen auf einmal und warf sich in seine Arme. Ich sah ihnen beim Küssen zu, und das war kein Vater-Tochter-Kuß, ganz und gar nicht. Es war ein Kuß, in dem Bedeutung lag, und die gefiel mir überhaupt nicht. Rolfe, dachte ich, was ist denn das für ein Name?
    »Rolfe«, keuchte Alena, immer noch außer Atem, weil sie die Stufen wie zu einer Siegerehrung hinaufgehetzt war, »ich möchte dir Jim vorstellen.«
    Das war mein Stichwort. Ich ging die Treppe hinauf und streckte die Hand aus. Rolfe betrachtete mich aus tiefliegenden Augen und packte dann meine Hand mit festem, schwieligem Griff, einem Griff, mit dem man Holz hackte, Zaunpfosten einschlug und gepeinigte Truthähne oder weiße Labormäuse befreite: »Freut mich sehr«, sagte er mit einer Stimme, die wie Sandpapier kratzte.
    Im Haus brannte ein Feuer, und Alena und ich setzten uns davor und wärmten uns die Hände, während Alf winselte und jaulte und Rolfe uns in fingerhutgroßen japanischen Täßchen Früchtetee kredenzte. Seit wir eingetreten waren, hatte Alena mit dem Plappern nicht aufgehört, und Rolfe brabbelte mit seiner hölzernen Kratzstimme: die beiden tauschten Namen und Neuigkeiten und Klatsch aus, als hätten sie eine Art Geheimcode. Ich studierte Reproduktionen von Krick- und Pfeifenten, die an den abblätternden Tapeten hingen, und registrierte eine Kiste mit vegetarischen Heinz-Bohnendosen in der Ecke sowie eine Riesenflasche Jack Daniels auf dem Kaminsims. Endlich, nach der dritten Tasse Tee, lehnte sich Alena in ihrem Sessel zurück – einem gewaltigen alten Ding mit fleckigem Schonbezug – und fragte: »Also, wie sieht dein Plan aus?«
    Rolfe warf mir wieder einen Blick zu, ein rasches, raubtierhaftes Huschen seiner Augen, als wäre er nicht sicher, ob er mir vertrauen könne, dann ging er auf Alenas Frage ein. »Wir nehmen uns die Freilandputenranch ›Toller Koller‹ vor«, sagte er. »Und nein, ich finde den Namen nicht witzig, überhaupt nicht.« Er musterte mich jetzt, lange, stetig und prüfend. »Die verarbeiten die Köpfe zu Katzenfutter, und den Hals und die Innereien wickeln sie in Papier ein und stopfen das Ganze in die Körperhöhle, wie bei irgendwelchen Kriegsgreueln. Was in aller Welt hat ein Truthahn getan, um so ein Schicksal zu verdienen?«
    Obwohl er mich direkt ansprach, war es wohl eine rhetorische Frage, deshalb reagierte ich darauf nur, indem ich eine Miene machte, in der sich

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