Fleischeslust - Erzaehlungen
und jetzt kamen sie in Bewegung, torkelten von ihren Schlafplätzen herunter, flatterten mit den Flügeln und wirbelten dabei getrocknete Exkremente und zerpickte Körner auf, ergossen sich über den Betonboden, bis nichts mehr davon zu sehen war. Mit neuem Mut brüllte ich noch einmal – »Yiii-ha-ha-ha!« – und klapperte mit der Brechstange gegen die Aluminiumwände, während die Truthähne zur Tür hinaus in die Nacht stoben.
In diesem Augenblick flammte in der dunklen Öffnung des Ausgangs grelles Licht auf, und das Krachen der explodierenden Benzinkanister ließ die Erde erzittern. Renn weg! schrie eine Stimme in meinem Kopf, Adrenalin schoß ein, und mit einemmal hastete ich auf die Tür zu, inmitten eines Truthahn-Hurrikans. Sie waren überall, flügelschlagend, kollernd und kreischend, in Panik ihren Darm entleerend. Etwas traf mich in der Kniekehle, und plötzlich lag ich auf dem Boden, im Mist, zwischen den Federn und dem feuchten Truthahndreck. Ich war ein Weg, eine Truthahn-Autobahn. Ihre Klauen bohrten sich mir in Rücken und Schultern, in meine Schädelhaut. Selbst in Panik geraten, an Federn, Staub und noch Schlimmerem würgend, kämpfte ich mich auf die Beine, während die großen, schreienden Vögel ringsherum auf mich losgingen, und stolperte in den Hof hinaus. »Da! Wer ist das dort?« rief eine Stimme, und ich rannte los, so schnell ich konnte.
Was soll ich sagen? Ich sprang über Truthähne, andere kickte ich beiseite wie Fußbälle, schlug wild auf sie ein, noch während sie durch die Luft segelten. Ich rannte, bis meine Lungen sich anfühlten, als würden sie sich gleich durch das Brustfell brennen, ich war desorientiert und durcheinander und fürchtete das Krachen der Schrotflinte, die mich jeden Moment niederstrecken mußte. Hinter mir toste das Feuer und erhellte die Nacht, bis der Nebel blutrot und höllisch glühte. Aber wo war der Zaun? Und das Auto?
Irgendwann hatte ich wieder Kontrolle über meine Beine und blieb stocksteif stehen, um in die Nebelwand zu spähen. Dort vorn? War das mein Auto? In diesem Augenblick hörte ich irgendwo hinter mir einen Motor starten – ein vertrautes Geräusch mit einem vertrauten gurgelnden Spotzen in der Kehle des Vergasers –, dann waren dreihundert Meter weit entfernt kurz die Scheinwerfer zu sehen. Der Motor heulte auf, dann hörte ich hilflos zu, wie der Wagen in entgegengesetzter Richtung davonraste. Einen Moment lang stand ich noch einsam und verlassen da, bevor ich blindlings in die Nacht losrannte, um das Feuer, die Schreie, das Bellen und das pausenlose, geistlose Kreischen der Truthähne so weit hinter mir zu lassen wir nur möglich.
Als der Tag endlich anbrach, bemerkte ich es kaum, so dicht war der Nebel. Ich war auf eine Asphaltstraße gestoßen – welche das war und wohin sie führte, wußte ich allerdings nicht – und kauerte zitternd auf einem Unkrautbüschel dicht neben der Bankette. Alena würde mich nicht im Stich lassen, dessen war ich sicher – sie liebte mich, so wie ich sie liebte; brauchte mich so sehr wie ich sie –, und ich war mir auch sicher, daß sie alle Straßen und Feldwege nach mir absuchte. Dennoch war natürlich mein Stolz verletzt, und wenn ich Rolfe nie wiedersehen würde, wäre ich nicht allzu traurig, aber wenigstens hatte ich keine Schrotladung im Körper, war weder von Wachhunden zerrissen noch von erzürnten Putern zu Tode gehackt worden. Mir tat alles weh, mein Schienbein schmerzte, weil ich damit auf meiner nächtlichen Flucht gegen etwas Massives gekracht war, ich hatte Federn in den Haaren, und Gesicht und Arme waren ein Mosaik aus Schrammen, Kratzern und langgezogenen Dreckspuren. Während ich scheinbar stundenlang so dasaß, verfluchte ich Rolfe, verdächtigte Alena und stellte wenig schmeichelhafte Theorien über die Öko-Bewegung im allgemeinen auf, bis ich endlich ein vertrautes Schlürfen und Spotzen hörte und mein Chevy Citation sich aus dem Nebel vor mir schälte.
Rolfe saß am Steuer, mit ungerührter Miene. Ich sprang auf die Straße wie ein zerlumpter Bettler, fuchtelte mit den Armen in der Luft, um meiner Freude Ausdruck zu verleihen, und er hätte mich beinahe überfahren. Alena stürzte aus dem Wagen, ehe er noch richtig hielt, schlang die Arme um mich, schob mich auf den Rücksitz zu Alf, und schon waren wir auf der Rückfahrt zu Rolfes Versteck. »Was war denn bloß los?« rief sie, als wäre das nicht leicht zu erraten. »Wo warst du nur? Wir haben gewartet, solange wir
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