Fleischeslust - Erzaehlungen
versetzt war, und Alena hatte irgendwo eine verrottete Nerzstola aufgetrieben – die Sorte, bei der mehrere Tiere Schnauze an Schweif miteinander vernäht sind, die Miniaturbeinchen schlaff herabbaumelnd – und die Mäuler karminrot angesprayt, so daß sie wie eben getötet aussahen. Dieses grausige Banner steckte an der Spitze eines Stockes, und sie schwenkte es und johlte dabei wie ein Krieger: »Pelz ist Mord, Pelz ist Mord«, bis es den Demonstranten zu einem Mantra wurde. Es war für November ungewöhnlich warm, die Jaguars blinkten im Sonnenlicht und die Palmen neigten sich im Wind, und niemand – bis auf einen einsamen, schmallippigen Verkäufer, der uns finster durch die blitzblanken Fenster des Pelzgeschäfts anstarrte – schenkte uns auch nur die geringste Aufmerksamkeit.
So demonstrierte ich dort, fühlte mich exponiert und unübersehbar, aber ich demonstrierte – Alena zuliebe, den Füchsen und Mardern und all diesen Biestern zuliebe, und auch mir zuliebe; mit jedem Schritt, den ich tat, spürte ich, wie mein Bewußtsein größer wurde wie ein Ballon, und mehr und mehr durchflutete mich der Atem der Heiligkeit. Bis zu diesem Tag hatte ich Leder, ob rauh oder glatt, wie jeder andere getragen, Halbstiefel und Laufschuhe und meine geliebte Fliegerjacke, die ich schon seit der High-School hatte. Wenn ich bei Pelz eine Grenze gezogen hatte, dann nur deshalb, weil ich keine Verwendung dafür hatte. Hätte ich in Yukon gelebt – und manchmal, wenn ich in der Agentur bei einer Besprechung halb einnickte, stellte ich es mir vor –, wäre ich wohl in Pelzmänteln herumgelaufen, ohne Reue, ohne groß nachzudenken.
Nun aber nicht mehr. Jetzt war ich ein Protestierer, ein Spruchbandschwenker, kämpfte für das Recht auch noch des letzten Wiesels und Luchses, in Frieden alt werden und sterben zu können, ich war jetzt mit Alena Jorgensen zusammen und ein Faktor, mit dem man rechnen mußte. Natürlich taten mir die Füße weh, ich war schweißnaß und betete, es möge niemand von meiner Firma vorbeifahren und mich hier auf dem Gehsteig sehen, in dieser durchgedrehten Schar und mit den anprangernden Slogans.
Stundenlang demonstrierten wir dort, marschierten hin und her, bis ich glaubte, wir würden eine Furche ins Pflaster graben. Wir brüllten und johlten, und niemand sah uns auch nur zweimal an. Wir hätten auch Hare-Krischnas sein können, Obdachlose, Abtreibungsgegner oder Leprakranke, wo lag der Unterschied? Für den Rest der Welt, für die ahnungslose Mehrheit, deren kläglicher Zahl ich vierundzwanzig Stunden vorher noch angehört hatte, waren wir unsichtbar. Ich war hungrig, erschöpft, entmutigt. Alena beachtete mich nicht. Selbst die Frau mit der roten Schminke ermattete jetzt, ihre Parolen nur noch ein heiseres Flüstern, das vom Verkehrslärm aufgesogen und zunichte gemacht wurde. Und dann, als der Nachmittag allmählich in die Rush-hour überging, stieg am Bordstein eine verschrumpelte, silberhaarige alte Frau, die vielleicht ein früherer Filmstar oder die Mutter eines Filmstars oder gar die erste, fast vergessene Frau eines Studiobosses sein mochte, aus einer langen weißen Limousine aus und stolzierte unerschrocken auf uns zu. Trotz der Hitze – es mußten immer noch über fünfundzwanzig Grad sein – trug sie einen knöchellangen Silberfuchsmantel, eine buschige, breitschultrige, wehende Masse aus Pelz, die die Füchse in der Tundra deutlich dezimiert haben mußte. Das war der Moment, auf den wir gewartet hatten.
Ein Schrei erhob sich, schrill und klagend, und wir nahmen die einsame Greisin in die Zange, wie ein Trupp Cheyenne auf dem Kriegspfad. Der Mann neben mir ließ sich auf alle viere nieder und heulte wie ein Hund, Alena wirbelte ihren schlaffen Nerz durch die Luft, und mir rauschte das Blut in den Ohren. »Mörderin!« brüllte ich und steigerte mich hinein. »Folterknechte! Nazi!« Meine Nackensehnen waren angespannt, ich wußte nicht, was ich schrie. Die Menge raunte. Die Transparente tanzten. Ich war der alten Dame so nahe, daß ich sie riechen konnte – ihr Parfum, ein Hauch von Mottenkugeln aus dem Mantel –, und es berauschte mich, machte mich glatt verrückt, und ich ging auf sie los und versperrte ihr den Weg mit der ganzen bedrohlichen, militanten Macht meiner dreiundachtzig Kilo aus Muskeln und Sehnen.
Den Chauffeur bemerkte ich gar nicht. Alena sagte mir später, daß er ein ehemaliger Champion im Kickboxen war, den man wegen übermäßiger Brutalität aus dem
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