Fleischeslust - Erzaehlungen
Sportverband ausgeschlossen hatte. Der erste Schlag schien von oben zu kommen, wie eine Bombe, abgefeuert aus tiefstem Feindesland; die nächsten trafen mich wie von einem Sturm angetriebene Windmühlenflügel. Jemand kreischte. Ich erinnere mich noch an die makellosen Bügelfalten in den Hosen des Chauffeurs, danach wurden die Dinge ein bißchen schummrig.
Ich erwachte zum dumpfen Dröhnen der Brandung, die auf den Strand eindrosch, und zu Alenas Lippen, die sich auf meine preßten. Ich fühlte mich, als hätte man mich gerädert, auseinandergenommen und wieder zusammengesetzt. »Nicht bewegen«, sagte sie, und ihre Zunge glitt über meine geschwollene Wange. Ich konnte nur schmerzverzerrt den Kopf auf dem Kissen drehen und in die Tiefen ihrer zweifarbigen Augen blicken. »Jetzt gehörst du zu uns«, flüsterte sie.
Am nächsten Morgen rief ich nicht einmal mehr an, um mich krank zu melden.
Gegen Ende der Woche hatte ich mich genügend erholt, um Appetit auf Fleisch zu entwickeln – wofür ich mich zutiefst schämte – und um beim nächsten Protestmarsch ein Paar Strandsandalen aus Vinyl abzuwetzen. Gemeinsam mit Alena – und diversen Koalitionen aus Antivivisektionisten, militanten Veganern und Katzenfreunden – schritt ich hundert Kilometer Bürgersteig ab, sprühte aufrührerische Slogans an die Fenster von Supermärkten und Hamburgerbuden, protestierte gegen Gerbereien, Hufschmieden, Geflügelfarmen und Wurstfabriken und fand irgendwie sogar die Zeit, einen Hahnenkampf in Pacoima zu sprengen. Es war aufregend, faszinierend, gefährlich. Wenn ich in der Vergangenheit abgeschaltet gewesen war, dann stand ich jetzt voll unter Strom. Ich fühlte mich rechtschaffen – zum erstenmal im Leben kämpfte ich für eine gute Sache –, und ich hatte Alena, vor allem Alena. Sie bezauberte und entzückte mich, verlieh mir das Gefühl eines Katers, der durch ein Fenster im Obergeschoß hinaus- und wieder hineinschlüpft, ohne an den freien Fall und den Staketenzaun zu denken. Natürlich, sie war schön, ein Triumph der Evolution, der gelungenste Genaustausch seit den Zeiten der Höhlenmenschen, aber es war mehr als das – so richtig unwiderstehlich machte sie ihre Hingabe an die Tiere, an den Kampf gegen alles Unrecht und für die Moral. War es Liebe? Das ist ein Wort, mit dem ich schon immer meine Probleme hatte, aber vermutlich war es das. Sicherlich. Liebe, schlicht und einfach. Liebe war in mir, ich war in ihr.
»Weißt du was?« sagte Alena eines Abends, als sie an ihrem Miniaturherd Tofu in Öl und Knoblauch schmorte. Am Nachmittag hatten wir vor einer Tortillafabrik demonstriert, die ausgelassenes tierisches Fett als Bindemittel verwendete; danach waren wir von dem übergewichtigen Geschäftsführer eines Supermarktes, der etwas dagegen hatte, daß Alena über die Sonderangebote auf seinem Schaufenster den Slogan FLEISCH IST TOD gesprayt hatte, drei Häuserblocks weit gejagt worden. Mir war richtig schwindlig von der pubertären Lust an alldem. Jetzt sank ich mit einem Bier in der Hand auf die Couch und sah zu, wie Alf heranhinkte, seitlich umfiel und an einem verdächtigen Fleck auf dem Fußboden leckte. Die Brandung dröhnte wie dumpfer Donner.
»Was?«
»Bald ist Thanksgiving.«
Ich überlegte einen Augenblick, ob ich Alena zu meiner Mutter einladen sollte, zu dem mit Austern aus der Dose und in Butter geschwenkten Semmelbröseln gefüllte, in leckerer Bratensoße schwimmenden Truthahn, doch dann wurde mir klar, daß das wohl keine gute Idee war. Also sagte ich gar nichts.
Sie sah über die Schulter. »Die Tiere haben nicht viel, wofür sie dankbar sein können, das ist mal sicher. Das Ganze ist nur eine Ausrede für die Fleischindustrie, um ein paar Millionen Truthähne niederzumetzeln, sonst nichts.« Sie hielt inne; heißes Distelöl brutzelte in der Pfanne. »Ich glaube, es ist Zeit für einen kleinen Ausflug«, sagte sie. »Können wir dein Auto nehmen?«
»Klar, aber wohin fahren wir denn?«
Sie schenkte mir ihr Lächeln der Gioconda. »Truthähne befreien.«
Am Morgen rief ich meinen Chef an, um ihm zu sagen, daß ich Bauchspeicheldrüsenkrebs hätte und eine Zeitlang nicht kommen würde, dann warfen wir ein paar Sachen in den Wagen, halfen Alf dabei, auf den Rücksitz zu krabbeln, und nahmen die Schnellstraße 5 zum San Joaquin Valley. Wir fuhren drei Stunden lang durch so dichten Nebel, daß die Fenster ebensogut in Watte hätten verpackt sein können. Alena tat geheimnisvoll, aber ich
Weitere Kostenlose Bücher