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Fleischeslust - Erzaehlungen

Fleischeslust - Erzaehlungen

Titel: Fleischeslust - Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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richten. »Weißt du, was Isaac Bashevis Singer gesagt hat?«
    Wir waren beim dritten Bier. Die Sonne war untergegangen. Ich hatte keine Ahnung.
    Alena beugte sich ein Stück vor. »›Für die Tiere ist jeder Tag wie Auschwitz.‹«
    Ich senkte den Blick in die bernsteinfarbene Öffnung meiner Bierflasche und nickte traurig. Der Trockner stand seit anderthalb Stunden still. Ich fragte mich, ob sie wohl mit mir ausgehen würde, und wenn ja, was sie überhaupt essen konnte. »Äh, ich überlege gerade«, sagte ich, »ob... ob du mit mir irgendwo was essen gehen möchtest.«
    Diesen Augenblick wählte Alf dazu, sich schwankend zu erheben und an die Wand hinter mir zu urinieren. So hing mein Vorschlag in der Luft, während Alena vom Tischrand hochschoß, um den Hund zu schelten und ihn dann behutsam zur Tür hinaus ins Freie zu schubsen. »Armer Alf«, seufzte sie und wandte sich achselzuckend wieder mir zu. »Übrigens, tut mir leid, wenn ich dich hier so vollquatsche – das habe ich nicht vorgehabt, aber man trifft eben selten jemanden, der auf der gleichen Wellenlänge ist.«
    Sie lächelte. Auf der gleichen Wellenlänge : die Worte waren wie eine Erleuchtung für mich, sie erregten mich, durchzuckten mich mit einem Beben, das ich bis in die Tiefe meines Fortpflanzungstrakts verspürte. »Also wie steht’s mit dem Essengehen?« beharrte ich. Diverse Restaurants gingen mir durch den Kopf – es würde ja wohl vegetarisch sein müssen. Durfte auch nur der geringste Hauch von gegrilltem Fleisch in der Luft liegen? Vergorene Ziegenmilch und Tabbouleh, Tofu, Linsensuppe, Sojasprossen: Für die Tiere ist jeder Tag wie Auschwitz . »Kein Fleisch natürlich.«
    Sie betrachtete mich wortlos.
    »Ich meine, ich esse selbst kein Fleisch«, log ich, »also, jedenfalls nicht mehr « – seit dem Pastrami-Sandwich, um genau zu sein – »aber ich kenne eigentlich kein Restaurant, das...« Ich ließ den Satz lahm in der Luft hängen.
    »Ich bin Veganerin«, sagte sie.
    Nach zwei Stunden mit geblendeten Karnickeln, niedergemetzelten Kälbern und verstümmelten Hundewelpen konnte ich mir den Witz nicht verkneifen: »Und ich komm von der Venus.«
    Sie lachte, aber ich merkte, daß sie es nicht besonders lustig fand. Veganer aßen weder Fleisch noch Fisch, erläuterte sie, und auch Milch, Käse und Eier nicht, und sie trugen weder Wolle noch Leder am Leib – und Pelz natürlich sowieso nicht.
    »Natürlich«, sagte ich. Wir standen einander gegenüber, zwischen uns der Beistelltisch. Ich kam mir allmählich etwas albern vor.
    »Warum essen wir nicht einfach hier«, schlug sie vor.
    Das dumpfe Pulsieren des Meeres vibrierte in meinen Knochen, als wir in dieser Nacht im Bett lagen, Alena und ich, und ich mich mit der Gelenkigkeit ihrer Gliedmaßen und der Süße ihrer Gemüsezunge vertraut machte. Alf lag auf dem Boden, im Schlaf schnaufend und ächzend, und ich liebte ihn um seiner Inkontinenz und seiner hündischen Blödheit willen. Etwas passierte mit mir – ich spürte es, während die Dielen unter mir knackten, spürte es mit jedem Pulsschlag der Brandung –, und ich war bereit, mich darauf einzulassen. Am Morgen meldete ich mich wieder krank.
    Alena sah mir vom Bett aus zu, wie ich im Büro anrief und genau beschrieb, wie die Grippe von meinem Kopf in den Darm und noch weiter gewandert war, und sie musterte mich mit einem Blick, der mir verhieß, daß ich den Rest des Tages dort neben ihr zubringen, Weintrauben schälen und eine nach der anderen zwischen ihre geöffneten, erwartungsvollen Lippen fallen lassen würde. Ich irrte mich. Eine halbe Stunde später, nach einem Frühstück aus Bierhefe und etwas, das an Baumrinde in Joghurtmarinade erinnerte, fand ich mich unversehens auf einem Gehsteig in Beverly Hills wieder, marschierte vor einem luxuriösen Pelzgeschäft auf und ab und schwenkte ein Transparent mit dem Text WIE FÜHLT MAN SICH MIT EINER LEICHE AM LEIB ? in Buchstaben, die wie Blut trieften.
    Es kam wie ein Schock. Protestmärsche, Antikriegsdemos und Bürgerrechtsversammlungen kannte ich aus dem Fernsehen, aber noch nie hatte ich selbst meine Sohlen auf dem Straßenpflaster gewetzt, Parolen skandiert oder einen rauhen Holzgriff in der Hand gespürt. Wir waren etwa vierzig, größtenteils Frauen, fuchtelten mit unseren Transparenten vor den vorbeifahrenden Autos herum und blockierten den Fußgängerverkehr vor dem Laden. Eine der Frauen hatte sich Gesicht und Hände mit Hautcreme beschmiert, die mit roter Farbe

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