Fleischeslust - Erzaehlungen
konnten.«
Ich fühlte mich mürrisch und sitzengelassen und meinte, mir weit mehr verdient zu haben als eine flüchtige Umarmung und eine Serie banaler Fragen. Trotzdem: während ich meine Geschichte erzählte, fand ich sie sogar aufregend – sie waren im Auto geflüchtet, Heizung und Gebläse auf vollen Touren, und ich war zurückgeblieben, um gegen die Truthähne, die Farmer und die Elemente zu kämpfen, und wenn das nicht heroisch war, was dann? Ich blickte in Alenas bewundernde Augen und stellte mir Rolfes Baracke vor, ein oder zwei Schlückchen aus der Jack-Daniels-Flasche, vielleicht ein Sandwich mit Erdnußbutter und Tofu, und dann das Bett, mit Alena drin. Rolfe sagte kein Wort.
Bei ihm angekommen, duschte ich und schrubbte mir den Putendreck aus den Poren, dann genehmigte ich mir etwas von dem Bourbon. Es war zehn Uhr vormittags, und im Haus war es stockdunkel – wenn die Welt je ohne Nebel existiert hatte, hier merkte man davon nichts. Als Rolfe auf die Veranda hinaustrat, um eine Ladung Brennholz zu holen, zog ich Alena auf meinen Schoß. »He«, murmelte sie, »ich dachte, du wärst invalide.«
Sie trug knallenge Jeans und einen übergroßen Pullover ohne Unterwäsche. Ich fuhr mit der Hand darunter und bekam etwas zu fassen. »Invalide?« fragte ich und rieb mir die Nase an ihrem Ärmel. »Was denn, ich bin doch der Truthahnbefreier und Öko-Guerillero, ein Freund der Tiere und der Umwelt dazu.«
Sie lachte, doch zugleich entzog sie sich mir, ging durch das Zimmer und starrte aus dem verhangenen Fenster. »Hör mal, Jim«, begann sie. »Was wir letzte Nacht getan haben, war großartig, echt großartig, aber es ist erst der Anfang.« Alf sah erwartungsvoll zu ihr auf. Auf der Veranda hörte ich Rolfe herumwursteln, das Schlagen von Holz auf Holz. Sie wandte sich um und sah mich jetzt direkt an. »Also, äh – Rolfe will, daß ich eine Zeitlang nach Wyoming gehe, an die Grenze zum Yellowstone-Nationalpark...«
Ich? Rolfe will, daß ich? Darin lag keinerlei Aufforderung, kein Plural, keine Würdigung dessen, was wir miteinander unternommen hatten und füreinander bedeuteten. »Warum?« fragte ich. »Was soll das heißen?«
»Da gibt es diesen Grizzlybären, eigentlich sind es zwei, die haben außerhalb des Parks ein paar Häuser heimgesucht. Neulich hat einer von ihnen den Dobermann des Bürgermeisters zerfleischt, und jetzt bewaffnen sich die Leute dort. Wir – also, ich meine Rolfe und ich und ein paar Leute von den alten Öko-Kämpfern aus Minnesota –, wir wollen hinfahren, um dafür zu sorgen, daß die Park-Ranger – oder die Kerle aus dem Ort – sie nicht einfach abknallen. Die Bären, meine ich.«
Meine Stimme klang ätzend. »Du und Rolfe?«
»Zwischen uns läuft nichts, wenn du das meinst. Hier geht es nur um Tiere, um nichts anderes.«
»Tiere wie wir?«
Sie wiegte langsam den Kopf. »Nicht wie wir, nein. Wir sind der Pesthauch dieses Planeten, weißt du das nicht?«
Plötzlich wurde ich zornig. Kochte vor Wut. Da hatte ich die ganze Nacht in den Büschen gekauert, über und über voll mit Truthahnkacke, und jetzt war ich Teil eines Pesthauchs. Ich stand auf. »Nein, das wußte ich nicht.«
Sie warf mir einen Blick zu, der mich davon unterrichtete, daß ihr das egal war, daß sie bereits fort war, daß ich, jedenfalls für die nächste Zeit, nicht in ihrem Plan vorkam und daß es keinen Sinn hatte, deswegen zu streiten. »Also«, sagte sie, jetzt etwas leiser, denn Rolfe polterte wieder zur Tür herein, eine Ladung Holz im Arm, »wir sehen uns in L.A. wieder, ja? So in einem Monat ungefähr.« Sie lächelte mich bittend an. »Gießt du meine Pflanzen?«
Eine Stunde später war ich wieder auf der Straße. Ich hatte Rolfe geholfen, das Brennholz neben dem Ofen zu stapeln, ließ meine Lippen von Alenas Abschiedskuß streifen und sah dann von der Veranda aus zu, wie Rolfe die Hütte abschloß, Alf auf die Ladefläche seines Pick-ups hob und über die ausgefahrene Piste davonrumpelte, Alena an seiner Seite. Ich sah ihnen nach, bis ihre Bremslichter im treibenden grauen Nebel verloschen, dann ließ ich den Citation aufröhren und schlingerte ihnen hinterher. In einem Monat ungefähr : ich fühlte mich innerlich hohl. Ich stellte sie mir mit Rolfe vor, wie sie Joghurt und Weizenkeimmüsli aßen, in Motels übernachteten, mit Grizzlys rangen und Stahlnägel in Baumstämme hämmerten. Die Hohlheit wurde größer und entkernte mich geradezu, bis ich mir vorkam, als hätte man mich
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