Fleischessünde (German Edition)
Denn er gehörte zu ihren Feinden. Er war ihr Feind. Reaper wie er hatten ihr alles genommen.
Daran durfte sie jetzt aber nicht denken. Wichtiger war, dass ihre kleine Maskerade gestern Abend ausgereicht hatte und er sie nicht wiedererkannte.
„Reine Instinktsache“, beantwortete sie endlich seine Frage. Kuznetsov am Boden zuckte. Der Seelensammler schaute ihn sich genauer an. „Er lebt ja noch“, bemerkte er.
„Ja und? Überrascht?“
„Allerdings. Nach dem Krachen seines Genicks, als du ihm den Hals umgedreht hast, hatte ich nicht damit gerechnet.“ Er klang sehr genervt, als er das sagte.
„Welchen Sinn hätte es gehabt, ihn zu töten?“ Für sie gar keinen. Sie hatte es auch nicht vorgehabt. Sie wollte den Setnakht-Priester zur Isisgarde schaffen, damit ihre Schwestern ihn dort ins Verhör nehmen konnten.
„Welchen Sinn?“ Er strich sich über das stoppelige Kinn. „Merkwürdige Frage. Was weiß denn ich? Bin ich vielleicht in deine Pläne eingeweiht?“
Sie musterte ihn leicht erstaunt. Eingeweiht – diese Wortwahl passte überhaupt nicht zu ihm. „Was willst du?“, fragte sie ihn brüsk. Sie hatte ihre innere Mitte und Ausgeglichenheit wiedergefunden. Ein stiller See unter einem wolkenlosen Himmel. Sich das vorzustellen, half ihr immer.
Erst warf er einen nachdenklichen Blick auf den am Boden liegenden Pyotr, dann sah er sie mit seinen grauen Augen an.„Dasselbe wie du, Darling.“
„Das bezweifle ich.“
Wo immer die Reaper auftauchten, zogen sie eine breite Spur von Blut und Gewalt hinter sich her. Das wusste sie nur zu gut. Sie hatte es selbst erfahren. Nicht nur einmal, sondern wieder und wieder in ihren Albträumen. Viele Jahre hindurch hatte dieser Horror sie bis in ihre wachen Stunden verfolgt und ihr die Kehle zugeschnürt. Selbst tagsüber bei den alltäglichsten Verrichtungen überfielen sie die grausamen Bilder der Erinnerung. Seit einiger Zeit waren diese Albträume seltener geworden, und dabei sollte es auch bleiben. Dafür wollte sie sorgen.
Der Seelensammler trat einen Schritt auf sie zu, beließ es aber bei seinem Böse-Buben-Lächeln, das schon genügte, damit sich ihr die Nackenhaare aufstellten. Einer angriffslustigen Viper traute sie mehr als ihm und seinem Grinsen.
„Glaubst du, du kannst irgendwie Eindruck auf mich machen, Reaper?“, fragte sie kühl. „Du kommst zu spät. Der Mann gehört mir. Ich beanspruche ihn in Isis’ Namen.“ Bewusst brachte sie Isis’ Namen ins Spiel, um ihn daran zu erinnern, dass das Gipfeltreffen der Unterweltfürsten unmittelbar bevorstand. Er würde in dieser Situation keine diplomatischen Verwicklungen riskieren, die unweigerlich entstehen würden, wenn er Isis’ Ansprüche missachtete.
„Und wenn ich dir nun sage, dass mir deine oder Isis’ Ansprüche herzlich egal sind?“
„Ich glaube nicht, dass eine solche Provokation so kurz vor dem großen Treffen in deinem Interesse ist. Zumal dein Herr dieses Treffen arrangiert hat.“
„Du meinst, ich könnte meinen Herrn verärgern, indem ich Isis erzürne? Die beiden haben doch ohnehin einen gepflegten Hass aufeinander. Außerdem“, fügte er hinzu, „mein Herr , wie du Sutekh nennst, ist nebenbei auch mein Vater, weshalb ich mir ein paar Freiheiten durchaus herausnehmen kann.“
Auch das noch, dachte Calliope. Dann meinte sie herausfordernd:„Und jetzt glaubst du wohl, dass ich dir meine Beute überlasse und mich vor dir in den Staub werfe?“
„Eine reizende Vorstellung.“ Er trat noch einen Schritt näher. „Wirst du es tun?“
„Kuznetsov dir überlassen?“ Energisch schüttelte sie den Kopf. „Niemals.“
„Dich vor mir in den Staub werfen?“
„Erst recht nicht.“
„Schade. Sehr enttäuschend.“
„Enttäuschung ist etwas für Weicheier.“
Er stutzte. Dann warf er den Kopf in den Nacken und lachte aus vollem Halse. „Wie heißt du, meine Schöne?“, fragte er und rückte noch dichter an sie heran.
Wenn sie etwas nicht leiden konnte, dann dass ihr jemand auf die Pelle rückte. Trotzdem gönnte sie ihm nicht die Genugtuung, indem sie keine Reaktion zeigte und ihm nicht auswich. Stattdessen stand sie breitbeinig über dem nur noch halb lebendigen Kuznetsov und unterstrich damit, dass sie nicht bereit war, ihn herzugeben.
„Oh – so schüchtern?“, meinte er, als er keine Antwort auf seine Frage bekam. Seine Worte trieften förmlich vor Sarkasmus. „Wenn das so ist, stelle ich mich einfach selbst vor. Gestatten, Malthus Krayl. Aber du
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