Fleischessünde (German Edition)
Ausfall mit dem Arm halbwegs ab. Dabei konnte er jedoch nicht verhindern, dass die abgelenkte Klinge ihm die linke Brustseite durchbohrte und ihn praktisch an der Wand aufspießte. Calliope war nicht unzufrieden. Sie bedauerte im Stillen, dass sie sein Herz nicht getroffen hatte. Aber so war es immerhin besser als nichts.
Sie ließ die Waffe los. Der Griff des Schwerts vibrierte noch, als sie zwei Schritte zurücktrat. Obwohl sie beide in übermenschlicher Geschwindigkeit agiert hatten, kam ihr die ganze Szene wie in Zeitlupe vor. Malthus schaute an sich herab, öffnete erstaunt den Mund, sagte jedoch nichts. Aus seinen grauen Augen sah er Calliope an. Er spießte sie mit seinem Blick beinahe genauso auf wie sie ihn mit dem Schwert.
Sie wartete nicht, bis er sich wehrte, sondern wandte sich zu Kuznetsov und hob ihn auf die Schultern, etwa so, wie ein Feuerwehrmann einen Geretteten trägt. Sie mochte nicht daran denken, wo sich das Gemächt des fast leblosen, nackten Priesters gerade befand. Dank der Auffrischung ihrer Kräfte kostete dieser Transport sie kaum mehr Mühe als das Tragen einer Handtasche. Sie bedauerte zwar, dass sie das Schwert zurücklassen musste, aber noch weniger wollte sie Kuznetsov zurücklassen. Das Schwert ließ sich zur Not ersetzen, die Information, die Kuznetsov bereithielt, nicht. Die Isisgarde verlangte danach.
Wieder stach ihr der Geruch des Reaperbluts in die Nase. Das war das Dilemma. Sie hatte von diesem Blut gekostet, und jetztwar die Verlockung, es noch einmal zu tun, fast übermächtig.
Nachgeben durfte sie dieser Versuchung nicht. Aus den Augenwinkeln sah sie, wie Malthus Krayl bereits daran ging, sich aus seiner misslichen Lage zu befreien. Mit den Händen reichte er nicht bis ans Heft des Schwerts. So blieb ihm nichts übrig, als die Klinge zu umfassen, um auf diese Weise den Stahl aus der Wand und sich aus der Brust zu ziehen. Was für entsetzliche Schmerzen mussten das sein, stellte sich Calliope vor. Dennoch kam kein Laut über seine Lippen.
Jetzt hieß es, keine Zeit zu verlieren. Sie griff sich eine etwa einen Meter hohe Marmorstatue, die auf einem kleinen Podest das Zimmer schmückte, und schmetterte sie mit all ihrer geliehenen Kraft gegen das Fenster. Die Glasscheibe zerbarst, die Splitter stoben in alle Richtungen. Calliope besann sich nicht lange, sondern machte, den nackten Kuznetsov auf den Schultern, mit Anlauf einen Satz durch das zerbrochene Fenster, wobei sie schützend den Kopf senkte.
Draußen empfing sie der freie Fall durch die kalte Nachtluft.
Es war mehr das Unwürdige seiner Lage als der schier unerträgliche Schmerz, der Malthus so wütend machte. Wie einen toten Schmetterling auf eine Korkplatte hatte diese Furie ihn aufgespießt. Sie hatte sich von seinem Blut genährt und ihn mit der von ihm geborgten Kraft überrumpelt und zeitweilig sogar außer Gefecht gesetzt. Er war in seiner Eitelkeit getroffen – und doch bewunderte er Calliope Kane. Sie hatte wirklich etwas drauf.
Um die Blutung zu stoppen, presste er sich die Faust auf die Wunde in der Brust und trat fluchend an das zerborstene Fenster. In die alles verzehrenden, nie verlöschenden, heißesten Feuer der Unterwelt hätte Malthus Calliope verwünschen können. Gleichzeitig unterhielt sie ihn geradezu mit ihrer Unverschämtheit. Wahrhaftig eine Frau voller rätselhafter Widersprüche. Eiskalt berechnend und dabei tollkühn. Ohne eine Sekunde zu zögern, war sie mit einem Nackten auf dem Buckel aus diesemFenster gesprungen. Er hätte diesen kurzen Segelflug durch die Nacht gern an ihrer Seite unternommen. Zumal er dann Hochwürden Kuznetsov besser unter Kontrolle gehabt hätte.
Er trat dichter ans Fenster und blickte auf einen Flachdachvorbau hinab. Von Calliope Kane und ihrem unfreiwilligen Begleiter war nichts mehr zu sehen. Das Tempo, in dem sie sich zurzeit bewegte, war atemberaubend. Und niemand anderem als ihm verdankte sie es. Seinem Blut, das in diesem Augenblick immer noch wie Wasser an ihm herunterlief.
Malthus überlegte. Um mit Kuznetsov auf die Straße zu kommen, musste Calliope entweder den Fahrstuhl oder das Treppenhaus benutzen. Da wäre es wünschenswert, wenn er vor ihr unten ankäme, um sie in Empfang zu nehmen. Mit offenen Armen. Er lachte böse in sich hinein.
Er hätte den gleichen Weg wie sie durchs Fenster nehmen können, wenn er nicht geblutet hätte wie ein abgestochenes Schwein. Der Gedanke daran, wie sie sein Blut von ihrem Handrücken geleckt hatte, machte
Weitere Kostenlose Bücher