Flieg, Hitler, flieg!: Roman
Stallburschen erzählt hatte; sie trug einen Teller mit Leber und Zwiebeln auf einem Tablett.
»Du hast gesagt, ich krieg was zu saufen«, sagte Sinner, als er aufgegessen hatte.
»Ja. Ihnen ist aber klar, dass Sie damit Ihren Tod beschleunigen? Sie wissen, dass Sie nie wieder wirklich gesund werden, wenn Sie das Trinken nicht aufgeben?«
»Du hast gesagt, ich kriege was zu saufen.«
»In diesem Fall übernehme ich keine Verantwortung.«
Erskine schenkte Sinner ein Glas Bier ein, das dieser auf einen Zug leerte. Noch bevor die Flüssigkeit seinen Magen erreichte, verspürte er eine große Erleichterung, so als erführe man im letzten Moment, dass man etwas nicht tun muss, vor dem man sich gefürchtet hat. Es schmeckte allerdings seltsam.
»Was ist das für ein Bier?«, fragte er und griff nach der Flasche.
»Irgendein Bier eben«, sagte Erskine und nahm die Flasche schnell vom Tablett. »Sie sind vermutlich billigere Sorten gewöhnt. So, in einigen Minuten muss ich zu einer Sitzung in der Royal Entomological Society. Ich komme am Abend zurück. Ich hoffe, das Bett genügt Ihren Ansprüchen, und schlage vor, dass Sie liegenbleiben, aber wenn Sie aufstehen möchten, finden Sie saubere Kleider in der Kommode. Sie werden kein Geld oder weiteren Alkohol in der Wohnung finden, und mein Labor ist abgeschlossen. Ich kann natürlich nicht verhindern, dass Sie die Wohnung verlassen, aber wenn Sie gehen, können Sie nicht zurückkehren. Verstehen Sie all das?«
Sinner nickte. Als Erskine sich umdrehte, um das Zimmer zu verlassen, klopfte es an die Tür der Wohnung.
»Einen Augenblick, Mrs. Minton«, rief Erskine.
»Phippy? Phippy, ich bin’s!« Die Stimme gehörte einer Frau, aber es war nicht die Vermieterin. Erskine wurde weiß und ballte die Hände zu Fäusten.
»Ich ziehe mich gerade an«, rief er.
»Ich habe schon oft gesehen, wie du dich anziehst. Mach die blöde Tür auf.«
»Bleiben Sie einfach hier, und seien Sie still«, flüsterte Erskine Sinner zu, verließ das Schlafzimmer und schloss die Tür hinter sich. Sinner hörte, wie er die Wohnungstür öffnete.
»Ich dachte, du ziehst dich an«, sagte die Stimme.
»Und jetzt bin ich angezogen. Es wäre wirklich besser gewesen, du hättest vorher angerufen, Evelyn.«
»Aber ich wusste doch, dass du zu Hause bist, lieber Bruder. Du unternimmst nie etwas.«
»Tatsächlich habe ich eine Menge zu tun und muss in einer Minute los, wenn ich nicht zu spät kommen will. Warum essen wir nicht zusammen zu Abend?«
»Nein.«
»Ist ein Abendessen zu bürgerlich?«
»Ich wollte deine wunderbar erwachsene neue Wohnung sehen. Sie ist ein bisschen klein, oder? Oh, wenigstens hast du das Bild mitgenommen. Der Kauf dieses Bildes ist das einzige Zugeständnis an guten Geschmack, das du in deinem ganzen Leben gemacht hast.«
»Du magst es doch nur, weil Mutter es schrecklich findet.«
»Es ist eine schrecklich faule Rembrandt-Persiflage, das stimmt, aber abgesehen davon ganz entzückend.« Sinner hörte Schritte.
»Und was ist hier drin?«
»Geh da nicht rein«, befahl Erskine.
»Warum nicht?«, sagte die Stimme, und die Tür des Zimmers öffnete sich.
Erskines Schwester war zweiundzwanzig Jahre alt und hübsch; sie hatte welliges braunes Haar, das auf dem Hinterkopf festgesteckt war, was ihre Wangenknochen betonte, auf denen ein stumpfer Glanz wie von abgewetztem Samt lag. Sie trug ein zartes grünes Kleid, das ihr eine nymphenhafte Anmutung verlieh, und zerrte einen ramponierten Regenschirm mit Messingbeschlägen hinter sich her, so groß, dass er ein kleines Dorf vor einem Mörserangriff hätte schützen können. Ihre Augenbrauen befanden sich in ständiger ironischer Schieflage, als würde sie geduldig darauf warten, dass der Rest der Welt die Zigarette wegwarf, die Maske fallenließ und seine absolute Lächerlichkeit eingestand.
»Wer in aller Welt ist das da in deinem Bett?«, sagte sie.
»Das ist nicht mein Bett. Das ist das Gästebett.«
»Wer ist das?«
»Ach, das ist mein Diener. Er war krank.«
»Phippy! Seit wann hast du denn einen Diener? Wie absurd! Und er sieht wie ein Jude aus!« Das sagte sie überrascht, nicht verächtlich.
»Er ist kein Jude. Sein Name ist Roach. Wenn man eine Wohnung hat, muss man auch einen Diener haben.«
»Junge, bist du wirklich der Diener meines Bruders?«
Sinner nahm sich lange Zeit, bevor er antwortete, und genoss Erskines flehenden Blick und seine zusammengebissenen Zähne. Schließlich sagte er: »Ja,
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