Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Flieg, Hitler, flieg!: Roman

Flieg, Hitler, flieg!: Roman

Titel: Flieg, Hitler, flieg!: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ned Beauman
Vom Netzwerk:
Juden hättet Regeln, was das Berühren von Toten betrifft.«
    Sinner drehte sich um.
    »Natürlich haben wir Christen auch welche, aber wir haben es nie für notwendig erachtet, sie niederzuschreiben.«
    Connelly, einer der Priester von St.   Panteleimon’s, stand in der Tür der Leichenhalle. Er war ein Ire in den Vierzigern, der sich so leidenschaftlich der Verfolgung von Schmuggeltabak widmete, dass er angeblich nicht mehr als zehn Minuten am Stück schlief – aufrecht stehend in einem Schrank.
    »Bist du sein Bruder, Roach? Sein Neffe? Vielleicht sogar sein lange verlorener Sohn? Bist du deshalb hier?«
    »Er hatte etwas, das mir gehört«, sagte Sinner.
    »Ach ja. Er hat dir Geld geschuldet, nehme ich an? Einen Silberling?« Connelly lächelte schmallippig. »Ich habe immer versucht, freundlich zu deinen Artgenossen zu sein. Ich habe um Geduld gebetet. Aber nach einiger Zeit hat der Herr aufgehört, mir Geduld zu geben, vielleicht weil ihr alle so abstoßend seid. Ich werde die Polizei rufen. Du bleibst hier.«
    Connelly machte die Tür zu und schloss sie ab, und Sinner blieb allein mit Renshaw zurück.
    Sinner sah sich um. Eines der Fenster der Leichenhalle schien groß genug zu sein, um hinauszuklettern, aber es war zu weit oben, als dass er es erreichen konnte. Also beförderte er Renshaws Leiche von der Bahre auf den Boden, dann rollte er die Bahre zur Wand gegenüber und kletterte hinauf. Aber er konnte nicht ausholen, um das Fenster einzuschlagen, ohne dass die quietschenden Räder der Bahre unter ihm zur Seite glitten, also musste er wieder herunterklettern, Renshaws Leiche über den Boden zerren, seinen Arm als Bremse unter eines der Räder der Bahre klemmen und wieder hinaufklettern. Inzwischen war er zu erschöpft, um das Fenster mit der Faust zu zerschlagen, also zog er Renshaw den Stiefel aus und machte es damit.
    Regen und Wind stürmten in die Leichenhalle wie Plünderer in einen Tresorraum. Sinner trug nur wollene lange Unterwäsche. Vor zwei Jahren hätte er noch ein mit Pomade eingeriebenes Regenrohr hinaufklettern können, aber dieses Fenster war sehr klein, und er fühlte sich sehr schwach. Schließlich bekam er ein Knie nach oben, wobei er sich tief an einem Stück Glas schnitt, das noch im Rahmen steckte, dann das andere Knie, und dann purzelte er auf die nassen Pflastersteine auf der anderen Seite und fühlte, wie etwas in seiner Schulter knirschte und seine lange Unterhose im Schritt riss.
    Er lag auf der Seite wie eine zertretene Schnecke und versuchte sich umzusehen, aber das Tageslicht war nach der Düsternis der Leichenhalle viel zu hell, und der Regen stach ihm ins Gesicht. Plötzlich stand ein Schatten über ihm. Er fragte sich verwundert, ob seine Gegner am Ende eines Kampfes dasselbe gefühlt hatten wie er jetzt.
    Der Schatten sagte: »Ist alles in Ordnung mit Ihnen, Mr.   Roach?«
    Sinner stöhnte und rieb sich die Augen. Er erkannte das Gesicht des Mannes nicht sofort, der mit einem Schirm in der Hand dort stand, aber die Stimme klang vertraut – so vornehm, dass es schon an eine Parodie grenzte. Er brauchte ein paar Sekunden, um sie in seinem Gedächtnis zu lokalisieren, und dann noch ein paar Sekunden, um seinen Unglauben abzuschütteln. Es war der Arsch, der an dem Abend nach dem Pock-Kampf uneingeladen in seine Umkleide im Premierland gekommen war. Bearskin oder so.
    »Was zum Teufel willst …«, begann Sinner. Er versuchte, auf die Füße zu kommen, aber es gelang ihm nicht.
    »Sie sind es wirklich«, sagte Erskine. »Es sind wirklich Sie. Nun, ist das nicht ein außergewöhnlich glücklicher Zufall? Und es ist erst der vierte Vormittag, den ich in Blackfriars verbringe. Ich hatte so gehofft, Sie zu finden. Obgleich ich hörte, Sie seien in einer Pension, nicht in einem Krankenhaus.«
    »Jetzt nicht mehr. Keins von beidem.«
    »Sicher. Es ging Ihnen nicht gut?«
    »Ging so«, sagte Sinner rundheraus.
    »Sie sehen in der Tat so aus, als würden Ihnen ein heißes Bad und eine warme Mahlzeit nicht schaden. Ein paar gute Würstchen vom Wild zum Beispiel.«
    Sinner hatte seit Monaten keine Würstchen mehr gegessen. Brot und Butter hingen ihm zum Hals heraus. »Wo?«
    »Ich habe mir in der Zwischenzeit eine Wohnung in Clerkenwell genommen.«
    »Und, nett da?«
    »Wenn ich es recht bedenke, spricht wirklich nichts dagegen, direkt dorthin zu fahren. Es wartet bereits ein Taxi auf mich. Es ist das Mindeste, was ich tun kann.«
    »Hört sich gut an.« Sinner hatte in seinem

Weitere Kostenlose Bücher