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Flieg, Hitler, flieg!: Roman

Flieg, Hitler, flieg!: Roman

Titel: Flieg, Hitler, flieg!: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ned Beauman
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Ma’am.« Erskines Muskeln entspannten sich, als sei er erschossen worden.
    »Was fehlt dir denn?«
    »Er hat Nierensteine«, sagte Erskine.
    »Wie blöd. Wo hat mein Bruder dich gefunden?«
    »Ich muss jetzt wirklich gehen, Evelyn«, sagte Erskine. »Komm mit, ich suche dir ein Taxi.« Evelyn durfte natürlich keine eigene Wohnung haben, und wenn sie in London war, wohnte sie normalerweise im Haus ihrer Freundin Caroline Garlick nahe der Gloucester Road. »Sagen wir um acht im Ravilious, in Ordnung? Ich lasse uns einen Tisch reservieren.«
    »Ich kann nicht. Ich habe eine Verabredung.«
    »Mit wem? Zwingt dich Mutter, mit den Bruiselands zu essen? Sie erwähnte, dass sie in der Stadt sind.«
    »Mit deinem alten Freund Morton, wenn du es genau wissen willst.«
    »Du gibst dich immer noch mit Morton ab?«
    William Erskine, ihr Vater, hatte Evelyn für kurze Zeit verboten, mit Morton zu sprechen, nachdem er herausgefunden hatte, dass Morton der British Union of Fascists beigetreten war, einer Organisation, die dem Faschismus in William Erskines Augen einen schlechten Leumund gab. Später jedoch hatte er sein Verbot zurückgenommen.
    »Ich weiß nicht, was du damit sagen willst, lieber Bruder, aber du solltest dich freuen. Denk daran, was auch immer ihr für kleine Meinungsverschiedenheiten haben mögt, er hat denselben College-Schal und dieselben politischen Ansichten wie du. Auf Wiedersehen, Roach.«
    Die beiden gingen. Sinner stand auf, zog sich an und sah sich in der Wohnung um. Sie war sauber, hell und nicht zu kalt, aber auch kahl, selbst im Vergleich zu der Wohnung seiner Eltern in Spitalfields: Es gab keinerlei Verzierungen und nur ein einziges Bild, jenes, über das Evelyn wohl gesprochen hatte.
    Sieben oder acht Ärzte, die schwarze Mäntel und Koteletten trugen, waren über eine Leiche gebeugt wie Raben über ein Stück Fleisch. Die Leiche war von Gelbsucht gezeichnet, aber immer noch recht muskulös, die Sehnen im rechten Oberschenkel waren durch ein herunterhängendes Stück Haut entblößt und im Detail wiedergegeben. Ein Tuch war über den Unterleib gelegt, aber man sah die Ausbuchtung darunter. Düsternis umgab die Szene, wie im St.   Panteleimon’s, und tatsächlich erinnerte Sinner das Gesicht des Toten ein wenig an Ollie Renshaw. Schnell wandte er sich von dem Gemälde ab; er hatte das Gefühl, wenn er es noch länger betrachtet hätte, wären die Ärzte – falls es überhaupt Ärzte waren – über den Körper hergefallen und hätten ihn verzehrt. Doch als er ins Bad ging, um zu pinkeln – was für ein Luxus, keine Bettpfanne benutzen zu müssen wie im St.   Panteleimon’s – erwischte er sich dabei, wie er sein Spiegelbild anstarrte, das mindestens so schlimm aussah wie das Bild. Es war Wochen her, dass er sich in irgendetwas Klarerem als einem dreckigen Fenster gespiegelt hatte, und jetzt verstand er, warum die Türsteher ihn nicht ins Caravan gelassen hatten. So wollte er nicht aussehen. Neben der Wohnstube, dem Bad und den zwei Schlafzimmern gab es nur eine kleine Küche und einen mysteriösen sechsten Raum mit einer verschlossenen Tür, vermutlich Erskines Labor. Das Schloss war stabil, aber er konnte die Tür wahrscheinlich aus den Angeln heben, wenn er wollte – vielleicht nicht heute, aber nach ein bisschen Ruhe und ein bisschen mehr Leber mit Zwiebeln bestimmt. Er spekulierte, wo er versetzen könnte, was immer Erskine in dem Raum aufbewahrte. Fünfzehn Minuten später stand er am Fenster, schaute auf die Straße hinunter und dachte, wie seltsam es doch war, dass er hier gelandet war, als erneut an die Wohnungstür geklopft wurde. Sinner öffnete. Evelyn war zurückgekommen, ohne ihren Bruder.
    »Ich habe den Taxifahrer im Kreis fahren lassen«, sagte sie.
    »Wieso?«
    »Weil ich wissen wollte, ob du wirklich Philips Diener bist. Das bist du nicht, habe ich recht?« Sie hatte eine männliche Art, das Kinn zu recken, wenn sie jemanden herausforderte, ihr zu widersprechen.
    »Ich weiß nicht. Vor ’ner Stunde war ich noch Stallbursche.«
    »Ich wusste es. Wenn einer seiner Diener so todkrank aussehen würde wie du, würde er eine Meile Abstand halten und ihn schon gar nicht in seiner Wohnung aufnehmen. Was machst du wirklich?«
    »Ich war mal Boxer.«
    »Du bist aber klein für einen Boxer.«
    »Für einen kleinen Kerl hab ich einen ziemlich kräftigen Schlag. Was machst du?«
    »Ich habe die Absicht, Komponistin zu werden. Magst du Avantgarde-Musik?«
    Sinner zuckte mit den

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