Flieg, Hitler, flieg!: Roman
war sie Teil des Widerspruchs zwischen den beiden? Sein Penis war mit Sicherheit Teil seiner Stärke: Er wäre an jedem Mann groß gewesen, und an einem Jungen von knapp einem Meter fünfzig wirkte er beinahe grotesk, besonders auf Erskine, der den Schock, dass wirkliche Männer nicht den griechischen Statuen im British Museum glichen, nie ganz überwunden hatte. Damals im Premierland hatten Sinners Muskeln so hart ausgesehen, dass sie fast an das Exoskelett eines Insekts erinnerten, und obwohl sie seitdem weicher geworden waren, waren sie immer noch erstaunlich. Mehrere Male skizzierte Erskine die perfekte kleine Falte zwischen Sinners Gesäß und der Rückseite seiner Oberschenkel. Er fragte sich, ob er das Notizbuch später würde vernichten müssen.
Das ging eine Stunde lang so, obwohl es für Erskine nur Minuten zu sein schienen. Dann ging er in seinen Club, wo er feststellte, dass er unfähig war, auch nur die einfachste Konversation zu bestreiten. Am Montag bat Erskine Sinner, der gerade gebadet hatte, die verschiedensten Positionen einzunehmen: den Fuß auf einen Stuhl zu stellen, wie ein Boxer in die Hocke zu gehen, sich vornüberzubeugen. Gegen Ende schien es dem Jungen beinahe Spaß zu machen. »Soll ich mich nicht mal so hinstellen?«, fragte er, die Fäuste erhoben und den Kopf zurückgeworfen. »Das wollen die Knipser immer von mir sehen.«
»Ich bin aber kein Schmierblatt«, antwortete Erskine.
Am Dienstag benutzte er ein Maßband und einen Zirkel, um Maß zu nehmen. Er gestattete sich nicht, Sinners Gänsehaut mit den Fingern zu berühren, aber während er kniete und den Umfang von Sinners Oberschenkel maß, begann der Penis des Jungen steif zu werden. Genau wie bei dem Engelskind konnte Erskine nicht hinsehen und nicht wegsehen. Auf Sinners Gesicht erschien indessen, was selten dort zu sehen war, nämlich ein halbes Lächeln, und Erskine stellte angeekelt fest, dass es sich um eine absichtliche Provokation handelte. Zur Strafe presste Erskine die Spitzen des Zirkels in Sinners linke Wade, so fest er konnte und so lange, bis zwei Blutstropfen erschienen, doch der Junge zuckte nicht mit der Wimper, und seine Erektion verschwand auch nicht. Erskine ließ seine Geräte fallen, verließ den Raum, überlegte, ob er für die nächste Sitzung einen Eimer mit Eiswasser bereitstellen sollte, und fragte sich insgeheim, ob er vielleicht zwei Eimer brauchte.
Am Mittwoch war Erskine immer noch aufgewühlt und ließ Sinner in Ruhe. Aber am Donnerstag, im Labor, sagte er zu ihm: »Ich brauche eine Probe von Ihrem Ejakulat.«
»Meinem was?«
Der Junge schlurfte in Hemd und Hose seines Gastgebers durch die Gegend; beides saß absurd locker. Erskine bevorzugte es, wenn er einen Morgenmantel trug, weil ihn das an den ersten Anblick von Sinner als Faustkämpfer erinnerte, wie er im Premierland den Ring erklommen hatte. Er wusste, dass er Sinner früher oder später neue Kleidung würde bestellen müssen – er kannte alle Körpermaße, die ein Schneider benötigen könnte –, aber er zögerte, irgendwelche Maßnahmen zu ergreifen, die es dem Jungen erleichtern könnten, in die Außenwelt hinauszuschlendern.
»Äh …«
»Ich soll abspritzen.«
Erskine nickte und gab Sinner ein Reagenzglas. »Ich möchte es unter dem Mikroskop nach Anomalien absuchen.« Noch hatte er nicht den Mut aufgebracht, sein eigenes Sperma zu untersuchen, um festzustellen, ob es durch das Masturbieren geschwächt war.
»Wie soll ich es denn machen?«
»Ich bin sicher, Sie wissen genau, was …«
»Willst du es machen?«
Erskine hustete. »Nein, das werde ich nicht. Es handelt sich hier um Wissenschaft.«
»Guckst du mir dabei zu?«
»Nein!«, rief Erskine. Dann verließ er das Labor und stellte sich ins Wohnzimmer, wo er leise vor sich hin summte. Ein paar Minuten später hörte er Sinner »Fertig!« rufen und ging wieder hinein. Sinner streckte Erskine seine hohle Hand entgegen; zwischen den Fingern quoll Samenflüssigkeit hervor. Das Reagenzglas lag auf dem Tisch – leer.
»Ich habe Sie ausdrücklich gebeten, das Gefäß zu benutzen«, sagte Erskine mit einer Stimme wie Glas.
»War zu kalt.«
»Dann müssen Sie es noch einmal machen.«
»Willst du es nicht?«, sagte Sinner und näherte sich mit der Hand Erskines Gesicht, als wolle er ihn mit der Flüssigkeit einreiben. Erskine schrie auf, floh aus dem Labor und schloss die Tür von außen ab. Eine kurze Zeit lang geschah nichts, dann begann Sinner an der Klinke zu
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