Flieg, Hitler, flieg!: Roman
weil ihr trübseliger Gott es ihnen befahl und sie in den Himmel kommen wollten –, und er empfand auch Erskine gegenüber keine. Er hatte in seinem Leben nur sehr wenige wahrhaft selbstlose Menschen kennengelernt – Anna, vielleicht Frink, vielleicht ein oder zwei andere –, und Erskine gehörte nicht mehr und nicht weniger zu ihnen als Albert Kölmel.
»Nun, bestimmt verstehen Sie zumindest das Grundprinzip: Wenn Sie darauf abzielen, ein Lebewesen mit bestimmten Eigenschaften hervorzubringen – egal, was … sagen wir, einen Hund, der besonders schnell rennen kann –, dann lassen Sie zu, dass bestimmte Hunde sich fortpflanzen und andere nicht, abhängig davon, wie schnell sie sind. Verstehen Sie? Gut. Aber was ist, wenn Sie einen Hund haben, der besonders intelligent und wachsam ist, aber mit verkrüppelten Hinterbeinen geboren wurde? Natürlich können Sie zulassen, dass er sich mit den anderen paart, aber dann werden Sie in Bezug auf die Geschwindigkeit möglicherweise um mehrere Generationen zurückgeworfen. Oder Sie können ihn kastrieren lassen, aber dann bekommen Sie vielleicht nie wieder einen Hund, der so intelligent und so wachsam ist. Was tun Sie also?«
»Sich stattdessen ein Polizeipferd besorgen?«
»Sehr komisch, aber nein: Im Normalfall würde man den verkrüppelten Hund kastrieren und auf die Intelligenz pfeifen. Das tut man um der anderen Hunde und ihrer möglichen Nachkommen willen. Carr-Sanders drückt das sehr gut aus.« Er hatte das Zitat für eine Vorlesung auswendig gelernt, die er vor sehr wenigen Zuhörern im UUC gehalten hatte, und er rezitierte es jetzt im Tonfall eines Dozenten. »›Nur das Netto-Ergebnis zählt; das gelegentliche Entstehen eines begabten Individuums aus schadhaften Anlagen, das theoretisch als seltenes Phänomen möglich ist, kann das Überwiegen des Defekts nicht kompensieren, vor allem wenn man bedenkt, dass wir durch das Ausmerzen des Defekts und das Erhöhen der durchschnittlichen Tauglichkeit das tatsächliche Entstehen eines hochbegabten Individuums weitaus wahrscheinlicher machen.‹ Natürlich spricht er hier eigentlich von Menschen. Und er hat völlig recht, denn mit Juden zum Beispiel ist es genau dasselbe. Juden sind im Allgemeinen gierig, tückisch und unangenehm, und aus diesem Grund glauben so viele große Geister, dass sie aus der zivilisierten Gesellschaft ausgestoßen werden sollten. Ich weiß, dass Sie das nicht beleidigen kann, denn das sind schließlich die Fakten.«
Sinner runzelte die Stirn. Als jüdischer Junge in Spitalfields hörte man jedes Mal, wenn man mit seinen Freunden ein Würfelspiel machte, viel schlimmere Dinge als das, was Erskine da sagte. Man lernte, es zu ignorieren, so wie man auch wusste, dass niemand einem wirklich ernsthaft unterstellte, Hühner in den Schnabel zu ficken. Doch das hier war etwas anderes, denn Erskine schien tatsächlich vorauszusetzen, dass er die volle Zustimmung seines Zuhörers hatte. Das gefiel Sinner nicht. Er dachte an die Geschichten seines Vaters – jene, die er wieder und wieder erzählt hatte, bis man sie nicht mehr hören konnte –, Geschichten darüber, was der Familie drüben in Polen widerfahren war, lange vor Sinners Geburt. Wenn Rabbi Berg hier gewesen wäre, dachte Sinner, oder Pearl oder sogar Siedelman, dann hätten sie Erskine in der ersten Runde des Schlagabtauschs besiegt. Waren sie aber nicht, und bevor Sinner Gelegenheit hatte, selbst zu protestieren, fuhr Erskine fort.
»Nun ist es allerdings auch so, dass Juden häufig sehr gerissen sind und gut mit Geld umgehen können; ich würde sagen, dass sehr wenige angelsächsische Männer so gerissen und im Umgang mit Geld so skrupellos sind. Es wäre eine Schande, diese Eigenschaften gänzlich zu verlieren, denn sie sind nützlich. Was kann man also tun? Ich denke, dass es unter bestimmten Bedingungen eine Möglichkeit gibt, eine verbesserte Zuchtwahl anzuwenden, um die guten von den schlechten Eigenschaften zu trennen, sodass nur die schlechten Eigenschaften ausgemerzt werden müssen. Man bewahrt die Gerissenheit des Juden – verdoppelt sie sogar –, aber nicht seine generelle Niedertracht. Natürlich ist die Methode außergewöhnlich komplex, und damit sie gelingen kann, müsste der verantwortliche Wissenschaftler oder Despot in der Lage sein, jede einzelne sexuelle Paarung über mindestens ein Dutzend Generationen im Voraus zu planen – und das ist genau das, was ich mit meinen Insekten zu erreichen
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