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Flieg, Hitler, flieg!: Roman

Flieg, Hitler, flieg!: Roman

Titel: Flieg, Hitler, flieg!: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ned Beauman
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Erleichterung abgelöst, weil er zu dem Schluss kam, dass Evelyn seinem Vater noch nichts über seinen verdächtigen »Diener« erzählt hatte; dann wiederum wurde seine Erleichterung zu großer Bestürzung, denn sein Vater drohte in einem Postskriptum, dem Sohn den Geldhahn zuzudrehen, wenn der ein Versprechen nicht hielt, das er vor beinahe zwei Jahren gegeben hatte. Es handelte sich um ein mühsames Projekt, das er beenden sollte, und die letzte Frist dafür endete mit dieser Tagung im August. Das hieß, dass er den Boxer und die Käfer mindestens einen Monat lang sich selbst überlassen musste. Die Zeit war gekommen, die Geschichte des Pangäischen aufzuschreiben – die Chronik des größten Stolzes und der größten Niederlage der Erskine-Dynastie.

ZEHNTES KAPITEL
    Herbst 1881
    Als sich Lydia Erskines Schwangerschaft im ausklingenden Jahr 1881 deutlich sichtbar unter ihren Kleidern abzuzeichnen begann, wurde ihr Ehemann nervös und entschied, dass er ein eigenes Projekt brauchte. Das war auch der Grund dafür, dass vier Monate später, am selben Tag, als die Juden aus dem Dorf Fluek vertrieben wurden, die Adverbien aus der englischen Sprache vertrieben wurden.
    »Was nützen sie schon?«, sagte Erasmus Erskine. »Gibt es, die grammatische Korrektheit einmal außer Acht gelassen, einen Unterschied zwischen ›The horse galloped swiftly ‹ und ›The horse galloped swift ‹ ?«
    (Jedenfalls bin ich mir ziemlich sicher, dass Philip Erskine sich ziemlich sicher war, dass es auf diese Weise passiert sein musste.)
    »Nein«, erwiderte Richard Thurlow. »Aber es gibt einen Unterschied zwischen › Coldly, he threw his wife’s love letters on to the fire‹ und › Cold, he threw his wife’s love letters on to the fire‹ .«
    Die beiden Freunde saßen beim Kaffee im Salon von Claramore Hall. Über ihren Köpfen lag Philip Erskines Großmutter in der siebten Stunde ihrer Wehen, und genau eintausend Meilen entfernt zog Seth Roachs Großmutter ihre verschlafenen beiden Töchter an, während ihr einen Meter zwanzig großer Ehemann an der Tür ihrer Hütte Wache stand. Der kleinste Mann in Fluek verteidigte sie mit einer Sense vor dem kleinsten Pogrom im russischen Polen.
    »Sehr geschickt, Thurlow, das gebe ich zu, aber du hast den springenden Punkt wieder einmal um Haaresbreite verfehlt. In einer wahrhaft philosophischen Sprache könnte es eine solche Zweideutigkeit nicht geben, weil es kein Wort gäbe, das sowohl ›von niedriger physikalischer Temperatur‹ als auch ›emotionslos‹ bedeutet.«
    Seit drei Jahre zuvor Ultima Thule eingegangen war, die Londoner archäologische Zeitschrift, deren einziger Mäzen und Chefherausgeber er gewesen war, hatte Erasmus Erskine nicht recht gewusst, wie er sich beschäftigen sollte, was zu seinem verspäteten Experiment der Brautwerbung und Ehe geführt hatte, aber selbst danach langweilte er sich noch. Thurlow hatte ihn zu überreden versucht, Gedichte zu schreiben, aber Erskine hielt die Lyrik für einen frivolen Parasiten, der von menschlichen Anstrengungen zehrte, und nachdem man ihm nicht gestattete, bei den Parlamentswahlen als Kandidat der Konservativen für North Hampshire anzutreten, begann er von der Politik in etwa dasselbe zu denken. Während Lydia sich aufblähte, kehrte er im Geiste immer wieder zu bestimmten Diskussionsthemen der allerletzten Redaktionskonferenz von Ultima Thule zurück, die im März 1879 im United Universities Club stattgefunden hatte.
    Bei seiner Rückkehr aus Indien hatte der Forschungsreisende Ferdinand Silkstone der Zeitschrift einen Artikel über das legendäre versunkene Königreich Kumari Kandam zur Veröffentlichung angeboten und behauptet, er habe an der Koromandelküste bei Madras ein Netzwerk von Unterwasserhöhlen entdeckt, und alle Anzeichen sprächen dafür, dass sie vor wenigstens zwanzigtausend Jahren von einer fortgeschrittenen Zivilisation bewohnt gewesen seien. Silkstone war jedoch verspätet zu der Sitzung erschienen, sodass die anderen an jenem Tag um zwei Uhr sehr lebhaft über die alten Tamilen von Kumari Kandam spekuliert hatten. Welche Sprache hatten sie, zum Beispiel, gesprochen? Marcus Amersham, der Redakteur von Ultima Thule , glaubte, sie hätten wohl eine melodische Sprache von wunderbarer Eleganz gehabt, was Gibbs, den Schatzmeister, an den französischen Musiker François Sudre erinnerte, der eine gänzlich neue Methode der Kommunikation mit der Bezeichnung Solresol erfunden hatte, die auf den sieben Noten der

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