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Flieg, Hitler, flieg!: Roman

Flieg, Hitler, flieg!: Roman

Titel: Flieg, Hitler, flieg!: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ned Beauman
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wurde zum Helden der Ariosophen und schrieb mehrere Bücher mit Prophezeiungen und Gedichten. 1931 stellte ihn ein Mitglied der Thule-Gesellschaft, nämlich Richard Anders, der auch Hitlers Schutzstaffel beigetreten war, Heinrich Himmler vor. Himmler war von Mowinckels Chroniken fasziniert und ernannte ihn später zum Leiter der Abteilung Vor- und Frühgeschichte des Rasse- und Siedlungshauptamtes der SS . In derselben Woche ereignete sich jedoch eine Tragödie. Seine beiden Söhne, Gustav und Kasimir, gingen die Sparkassenstraße in München hinunter, als ein Stück Mauerwerk herabstürzte. Gustav stieß seinen jüngeren Bruder zur Seite, wurde dabei selbst am Kopf getroffen und starb drei Tage später im Krankenhaus. Und mit dem Tod eines erstgeborenen Sohnes war die Flamme des angestammten hellseherischen Erinnerungsvermögens für immer erloschen. In der Folge prüfte Berthold das Wissen seines Sohnes Kasimir um irminische Überlieferung mehrere Monate lang regelmäßig, aber was er auch versuchte – Schimpfen, Schlagen, Hypnose –, sein Sohn konnte sich offenbar an keine einzige Begebenheit erinnern. Dann erzählte Kasimir seinem Vater eines Tages, der Geist seines Bruders sei ihm im Traum erschienen und habe ihm die Kraft übertragen; aber was er stockend berichtete, stimmte nie völlig mit den Erinnerungen seines Vaters überein. »Warum musste dein Bruder sein Leben für dich geben?«, fragte Berthold wieder und wieder.
    Schließlich, als er kurz davor stand, seinem Sohn vor lauter Enttäuschung den Hals umzudrehen, wandte er sich an Himmler und bewegte diesen dazu, eine Expedition nach Tibet zu finanzieren, wo Mowinckel Agartha finden wollte. Drei Monate später kehrte er zurück und behauptete, er habe einen sprechenden Panda geschossen und sein Blut getrunken, eine Frauensippe getroffen, die magische Steine in der Vagina trüge, und die Ruinen eines gigantischen Klosters von der Größe einer ganzen Stadt gesehen. Himmler war fasziniert, aber dann stritten sich die beiden Männer über das Rezept für einen Cocktail, und Mowinckel gelangte nie wieder in den innersten Kreis der Nazis. Jetzt reiste er in Europa umher, hielt Vorträge und verkaufte seine Gedichtbände.
    Erskine unterhielt sich ein paar Minuten mit den beiden Männern, suchte aber vergeblich nach einer sanften Überleitung, um nach Neuigkeiten über Hitler zu fragen; dann ging er nach unten in die Halle, wo sich seine unter Heuschnupfen leidende Schwester gerade die Nase putzte. Er begleitete sie ins Esszimmer im Nordflügel, um dort erschreckt festzustellen, dass nur für zehn Personen gedeckt war. Ihm war klar gewesen, dass die Olympischen Spiele in Berlin die Tagung beeinträchtigen würden, aber er hätte nie gedacht, dass die Teilnahme dermaßen gering sein würde. Waren dies die einzigen Faschisten in Europa, die seinen Vater noch nicht verabscheuten? Vielleicht schämten sich die restlichen aber auch, wollten nicht zugeben, dass sie nicht zu den Spielen eingeladen worden waren, und saßen bei geschlossenen Vorhängen und laufendem Radio zu Hause. Das jedenfalls hätte er unter diesen Umständen vermutlich getan.
    Er umkreiste den Tisch und zählte die Gäste an den Fingern ab. »Du, ich, Vater, Mutter, Bruiseland, Mowinckel und sein Sohn, der verrückte Italiener –«
    »Kann schon sein, dass er verrückt ist, aber er hat interessante Ideen über die Musik.«
    »– und dein nobler Verlobter, das sind neun. Einer fehlt noch.«
    Eine Platzkarte verriet, dass dieser letzte Gast in Claramore Edgar Aslet war, Parlamentsmitglied für die Torys und das langweiligste menschliche Wesen, das Erskine je getroffen hatte, so langweilig, dass es ihm nie gelungen war, auch nur eine einzige Tatsache über das Leben und die Leistungen dieses Mannes in seinem Kopf zu verankern. Erskines Vater saß am Kopf der Tafel, und er bevorzugte es, mit Männern zu speisen, die er bereits kannte, also hatte er Aslet zu seiner Linken und Bruiseland zur Rechten. Am anderen Ende hatte Erskines Mutter Platz genommen, die gern ein Auge auf die auswärtigen Ehrengäste hatte, weshalb links von ihr Amadeo saß und rechts Berthold Mowinckel. Zwischen ihnen, in der Mitte des Tisches, ein jüngeres Quartett: Erskine neben Morton und ihnen gegenüber Kasimir Mowinckel an der Seite von Evelyn. Am Tisch fand er sich zwischen Aslet und Berthold Mowinckel wieder. Als der Wein ausgeschenkt wurde, fragte Erskines Mutter: »Stimmt es, Mr.   Morton, dass man als Schwarzhemd

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