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Flieg, Hitler, flieg!: Roman

Flieg, Hitler, flieg!: Roman

Titel: Flieg, Hitler, flieg!: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ned Beauman
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ist kein besonders guter ›Repräsentant‹. Soweit ich weiß, ist er mit dieser Bande doch nur sehr lose verbunden.«
    »Und im Übrigen haben Julius und ich uns verlobt«, sagte Evelyn. Statt ihrem Bruder in die Augen zu sehen, hatte sie ihre Augen auf die abscheuliche grüne Tapete geheftet.
    »Machst du Witze?«
    »Nein.«
    »Wann?«
    »Letzte Woche.«
    »Himmelherrgott, Evelyn, du kennst den Mann ja nicht mal.«
    »Doch, das tue ich. Und wir sind beide von guter, gesunder Abstammung. Ist das nicht alles, was für dich zählt?«
    »Auch dein Wohlergehen liegt mir am Herzen, liebe Schwester.«
    In diesem Augenblick erschien ihre Mutter, die einen Blumentopf in beiden Händen trug.
    »Meine Engel, geht doch bitte nach oben und sucht Casper Bruiseland auf. Er ist im Observatorium, und ich bin sicher, dass er erfreut sein wird, euch zu sehen.«
    Philip und Evelyn stimmten ein schrilles Duett des Protests an. Ihre Mutter war zu beschäftigt für eine Diskussion, sodass sie nur sagte: »In Ordnung, in Ordnung. Casper kann warten. Aber dein Vater kann es nicht, Philip.«
    »Wo ist er?«
    »In der Bibliothek. Geh schon.«
    Erskine tat wie geheißen.
    Die Tür zur Bibliothek war verschlossen. Als er die Hand nach der Klinke ausstreckte, hörte er Stimmen und hielt in der Bewegung inne. Die Stimmen gehörten seinem Vater und Leonard Bruiseland. Er presste sein Ohr an das Holz. Andere zu belauschen, hatte ihm immer schon gefallen.
    »Wie viele Briefe hast du von diesem Verbrecher bekommen?«, fragte Erskines Vater.
    »Nur einen«, erwiderte Bruiseland.
    »Hast du die Handschrift erkannt?«
    »Nein. Du?«
    »Nein. Ich glaube, er hat sie verstellt.«
    »Vermutlich.«
    »Und der Brief an dich enthielt dieselben Drohungen?«
    »Ja«, sagte Bruiseland. »Es ist sehr beunruhigend.«
    »Es ist gar nicht beunruhigend. Jeder Dummkopf kann einen bösen Brief schreiben.«
    »Wir werden ja sehen.«
    Erskine hörte gedämpfte Schritte und trat gerade noch rechtzeitig von der Tür der Bibliothek zurück, bevor sie aufgerissen wurde.
    »Aha, der junge Erskine!«, sagte Bruiseland. Er war ein fröhlicher muskulöser Mann mit einer roten Nase, deren Haut sich schälte. Oft veranstaltete er mitten im Satz eine völlig unbefangene Symphonie aus schnaubenden, schnauzenden und würgenden Geräuschen, um irgendeinen Fremdkörper aus seinen Nasennebenhöhlen zu entfernen. »Wie geht es unserem jungen Wissenschaftler?«
    Bruiseland, der sich hingebungsvoll seinen drei Gehöften widmete, konnte Wissenschaftler eigentlich nicht leiden; aber Erskine mochte er, weil der eine Art höhere Viehhaltung erforschte, soweit Bruiseland das verstand.
    »Sehr gut, vielen Dank.«
    »Du bist inzwischen meistens in London?«
    »Ja.«
    »Diese Vorliebe wirst du schnorch schnorch rorch schnorch bestimmt bald hinter dir lassen. Und, äh, wie geht es deiner Schwester?«, sagte Bruiseland, wobei sein breites Lächeln einem Ausdruck der Besorgnis wich.
    »Sie hat sich gerade verlobt.« Erskine wischte sich unauffällig etwas Spucke von der Stirn.
    »Oh.« Für Bruiseland war Evelyn Erskine die Ursache tiefsten Erschreckens. Da die meisten seiner Stereotype seit mindestens fünfzehn Jahren überholt waren, siedelte er Evelyn irgendwo zwischen einer opiumrauchenden Frauenrechtlerin und einer weiblichen Figur bei Ibsen an, die anstelle von Kindern einen »seelischen Konflikt« hat. Er war sich absolut sicher, dass ihr unglücklicher Ehemann in spe die Spuren von mindestens drei (offensichtlich widersprüchlichen) sexuellen Neigungen auf ihrem nackten Körper entdecken würde, von denen jede einzelne ausreichte, um zu verhindern, dass sie ihm jemals einen gesunden Erben schenkte: die wunden und mit Eiterbläschen übersäten Genitalien einer dummen kleinen aristokratischen Hure, die unheilvollen Gesäßtätowierungen der Anhängerin eines lesbischen Kultes und die Pfannkuchenbrüste einer androgynen neurotischen Modernistin. Ihr Sarkasmus, ihre Impulsivität, ihre Musik, ihre (zu vermutende) sexuelle Degeneration und ein halbes Dutzend weiterer schrecklicher Eigenschaften machten sie in Bruiselands Augen nicht nur zur Quintessenz all dessen, was die Frauen nach der Einführung des Frauenwahlrechts verdorben hatte, sondern auch zur Schuldigen am Niedergang seiner eigenen Ehe. Er glaubte nämlich, dass seine Frau niemals auf den Gedanken gekommen wäre, ihre Tochter zu diesem finnischen Amoralisten zu schicken, hätten Evelyn Erskine und Genossinnen sie nicht dazu ermuntert,

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