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Fliege machen

Fliege machen

Titel: Fliege machen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucie Flebbe
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aus dem Frachtraum eines Flugzeuges gestürzt und dort
stecken geblieben war, das dachte ich jedes Mal, wenn ich das Ding sah.

    Beide Mädchen waren stark übergewichtig. Unter der
Bomberjacke des dickeren quoll der Kälte zum Trotz eine nackige Speckschicht
von der Breite eines Kinderschwimmrings zwischen einem olivgrünen T-Shirt und
einer überbreiten Hüftjeans hervor. Die fettigen Haare hatte sie zu einem
strähnigen Pferdeschwanz von undefinierbarer Farbe zusammengewurschtelt. Ihr
Hintern passte kaum zwischen die Kanten der Ziegelmauer, in die die kurze,
zersplitterte Holzbank eingelassen war.

    Die andere, kleinere, trug Kleidungsschichten, die meinem
eigenen bewährten Zwiebel-Outfit gar nicht unähnlich waren – bis auf die
Farbwahl, die eine mehr oder weniger ausgeprägte Depression vermuten ließ. Von
ihren langen, rabenschwarz gefärbten Haaren hoben sich ein paar rote Strähnen
ab. Unter einer weiten, ausgefransten Strickjacke trug sie zwei bis drei
weitere Shirts, durch deren zerlöcherte Ärmel sie ihre Finger gesteckt hatte.
Dazu eine schwarze Hose, Stiefel, Stulpen und Strickmütze. Den Schal hatte sie
bis übers Kinn hochgezogen – gerade so weit, dass sie den Joint im Wechsel mit
einer Zigarette zwischen ihre beiden Unterlippenpiercings stecken konnte. Die
schlichten Silberringe glänzten in Verlängerung ihrer Eckzähne.

    Vor den starren Stämmen des Zwillingsbaumes, die sich
hinter den Mädchen aus dem Fast-Food-Verpackungsmüll erhoben, sorgte sie für
Gruselflair. Vampirmäßig.

    Â»Hat eine von euch mal ’ne Kippe für mich?«, sprach ich
die Mädchen an, obwohl ich seit Wochen nicht mehr geraucht hatte. Aber noch
immer waren die Dinger ein wirksames Hilfsmittel, um ein Gespräch in Gang zu
bringen.

    Das Vampirmädchen hielt mir ein Päckchen hin.

    Ihre rot gefrorenen Wangen waren füllig, doch im Verhältnis
zu ihrem unförmigen Körper kam mir ihr Gesicht zu schmal vor. Mein Blick
wanderte auf den dicken Bauch unter den Kleidungsschichten.

    Sie war schwanger.

    Ich griff nach der Zigarette.

    Â»Bist neu hier, hm?«, bemerkte die andere sofort.

    Ich musterte auch sie genauer, doch sie blieb auch auf
den zweiten Blick einfach fett. Sie gab mir Feuer.

    Â»Ich such ’n Kollegen.«

    Â»Ich hab dich gewarnt! Ich mach dich kalt, du Sack! Genau
wie deinen Kumpel, diesen Penner!«, unterbrach ein wütendes Kreischen mein
gerade begonnenes Gespräch. Offenbar hatte Danner am hell erleuchteten
Busbahnhof ebenfalls mit seinen Ermittlungen begonnen.

    Die beiden Mädchen sahen sich nach dem Lärm um.

    Bohne, der Kettenträger, klirrte zwischen den anderen
Straßenkids hindurch. Er stürzte sich auf Danner. Der wich dem Angriff geübt
aus, Bohne stolperte an ihm vorbei, den Bordstein hinunter und strauchelte auf
der Fahrspur der Busse.

    Danner trat unterdessen an den Riesen mit dem Ziegenbart
heran, dessen Oberlippe von unserer letzten Befragung blutverkrustet war:
»Irgendwas solltest du mal langsam ausspucken. Jedenfalls, wenn’s diesmal keine
Zähne sein sollen.«

    Der große Junge wich vor Danner zurück.

    Â»Mann, der Vogel ist nur halb so groß wie du, Keule!«,
beschimpfte Bohne den feigen Riesen erbost. Taumelnd steuerte der Kettenträger
wieder auf die Gruppe zu. »Sei nicht so eine Memme, sonst kriegste von mir
gleich eins in die Fresse!«

    Aufgeregtes Murmeln wurde laut.

    Die beiden Mädchen auf der Bank verfolgten interessiert
das nur wenige Meter entfernte Geschehen.

    Der Ziegenbart sah sich unsicher nach dem Schmuckfreund
um.

    Â»Keiner von euch sagt dem was!«, brüllte Bohne wütend,
bevor er wieder auf Danner zurasselte. »Du musst schon mit mir sprechen, Sack.
Komm her, wenn du dich traust!« Wütend ballte er die mit klobigen Ringen
bestückten Fäuste.

    Â»Entweder sagt mir jetzt einer von euch, wo ich Fliege
finde«, fuhr Danner die unschlüssig herumstehenden Jugendlichen an, »oder die
Polizei beendet gleich euer nettes Sit-in.«

    Â»Fliege?«, flüsterte die Schwangere hinter mir erschrocken.
Sie tauschte einen schnellen Blick mit ihrer übergewichtigen Freundin.

    Ein paar der Punker drehten sich zu uns um.

    Â»Ey, das ist doch die Tusse von dem Kerl«, zischte im
gleichen Moment jemand neben mir.

    O Mist! Der Tokio-Hotel-Anhänger mit der hochgesprayten
Irokesenfrisur griff nach

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