Fliegende Fetzen
konnte er Mumms Gesichtsausdruck erkennen. »Du hältst
mich für einen gebildeten Barbaren, nicht wahr?«
»Nun, ich hätte mich damit begnügt, Schneetreiben Schuppert aus
Ankh-Morpork zu verjagen.«
»Tatsächlich? Sieh dich um, Sir Samuel. Dein… Revier… ist eine Stadt,
die man in einer halben Stunde zu Fuß durchqueren kann. Meins besteht
aus zwei Mil ionen Quadratmeilen Wüste und Bergen. Meine Gefährten
sind ein Schwert und ein Kamel, und ehrlich gesagt: Als Gesprächspart-
ner lassen beide zu wünschen übrig. In den Ortschaften gibt es natürlich
Wächter, sozusagen. Sie denken in einfachen, unkomplizierten Bahnen.
Meine Aufgabe besteht darin, Banditen und Mördern in Regionen nach-
zustel en, wo mich fünfhundert Meilen von Hilfe trennen. Deshalb brau-
che ich die Furcht als Verbündete. Und ich muß sofort zuschlagen, weil
ich keine zweite Chance bekomme. Ich halte mich für einen ehrlichen
Mann, zumindest in gewisser Weise. In Ankh-Morpork habe ich sieben
Jahre in einer Privatschule überlebt, und während dieser Zeit wurde ich
von den Söhnen der feinen Leute immer herablassend behandelt. Ich
versichere dir: Im Vergleich damit hat das Leben bei den D’regs über-
haupt keinen Schrecken. Ich sorge für Gerechtigkeit, schnel und gründ-
lich.«
»Ich habe gehört, wodurch du deinen Namen bekommen hast…«
Ahmed zuckte mit den Schultern. »Der Mann hatte das Wasser vergif-
tet. Dadurch starben fünf Männer, sieben Frauen, dreizehn Kinder und
einunddreißig Kamele. Und einige der Kamele waren sehr wertvol ,
möchte ich betonen. Ich bekam eindeutige Hinweise von dem Mann, der
ihm das Gift verkauft hatte, außerdem von einem vertrauenswürdigen
Zeugen, der ihn in der fraglichen Nacht beim Brunnen gesehen hatte.
Warum hätte ich unter solchen Umständen noch eine weitere Stunde
warten sollen?«
»Gelegentlich findet bei uns etwas statt, das wir Gerichtsverfahren
nennen«, sagte Mumm munter.
»Ja. Dabei entscheidet euer Lord Vetinari. Aber mitten im Nichts bin
ich das Gesetz.« Ahmed winkte mit einer Hand. »Oh, der Mann hätte
bestimmt mildernde Umstände vorgebracht, eine unglückliche Kindheit
oder ein besonderes Leiden namens Krankhafter-Drang-Brunnen-zu-
vergiften. Nun, ich habe den krankhaften Drang, feige Mörder zu köp-
fen.«
Mumm gab auf. Er konnte Ahmeds Standpunkt verstehen. Sogar sehr
gut.
»Ich schätze, unterschiedliche Kulturen erfordern unterschiedliche
Maßnahmen«, sagte er.
»Nach meinen Erfahrungen sind diese Maßnahmen besonders dann er-
folgreich, wenn man dabei scharfen Stahl einsetzt«, erwiderte Ahmed.
»Verzieh nicht gleich das Gesicht, es war nur ein Scherz. Ich wußte von
den Plänen des Prinzen, und ich dachte: Das ist nicht richtig. Wenn er
irgendeinen Lord aus Ankh-Morpork umgebracht hätte, so wäre das al es
nur Politik gewesen. Aber dies… Und ich dachte: Warum verfolge ich
Verbrecher in den Bergen, wenn ich selbst Teil eines großen Verbre-
chens bin? Der Prinz will ganz Klatsch vereinen. Ich persönlich mag die
vielen kleinen Stämme und Länder, selbst ihre kleinen Kriege. Ich finde
es auch nicht weiter schlimm, wenn sie gegen Ankh-Morpork kämpfen,
weil sie das wollen, weil sie eure gräßlichen Angewohnheiten nicht aus-
stehen können oder weil sie genug haben von eurer gedankenlosen Ar-
roganz. Doch eine Lüge sol te nicht der Grund dafür sein.«
»Ich weiß, was du meinst«, sagte Mumm.
»Aber was kann ich allein ausrichten? Soll ich vielleicht den Prinzen
verhaften? Ich bin sein Polizist, so wie du der Vetinaris bist.«
»Nein. Ich gehorche nicht Vetinari, sondern dem Gesetz.«
»Ich meine nur, es sollte selbst für Könige Polizisten geben.«
Mumm sah nachdenklich über die vom Mondschein erhel te Wüste.
Irgendwo dort draußen stand das Heer von Ankh-Morpork, wenn man
es überhaupt als »Heer« bezeichnen durfte. Und irgendwo dort draußen
wartete die klatschianische Streitmacht. Tausende von Männern, die viel-
leicht Freunde geworden wären, würden bald übereinander herfal en und
sich gegenseitig umbringen. Und nach dem ersten Waffengang gab es
Gründe genug, weitere folgen zu lassen.
Mumm erinnerte sich daran, daß er als Kind gehört hatte, wie drei Alte
über den Krieg sprachen. Er kannte den Krieg nicht aus eigener Erfah-
rung. Zu seinen Lebzeiten versuchten die Stadtstaaten der Sto-Ebene
nur, sich gegenseitig in den wirtschaftlichen Ruin zu treiben, oder die
Assassinengilde löste
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