Fliegende Fische Band (Junge Liebe ) (German Edition)
weiß nicht. Journalistisch Anspruchsvolles. Ein richtiges Thema. Nicht lauter Kleckerkram.“
Lars lehnt sich auf dem alten Schreibtischstuhl zurück, dass die Lehne kracht.
„Und was schwebt dir da vor?“
Daniel schluckt. Jetzt bloß locker bleiben und hoffen, dass die spontane Idee ihn nicht in Teufels Küche bringt.
„Keine Ahnung. Etwas, das über die Schule hinausgeht. Vielleicht gesellschaftspolitisch. Ein Thema wie … Homosexualität?“
Schweigen.
„Du willst einen Artikel über Schwule bringen?“, fragt Max schließlich ungläubig.
„Über Homosexualität im Allgemeinen“, erklärt Daniel. „Schwule und Lesben.“
„Aber warum?“
„Warum denn nicht?“
„Weil das niemanden interessiert! Ich meine – kennst du irgendwelche Schwulen? Ich nicht!“
„Fünf bis zehn Prozent aller Leute sind homosexuell“, sagt Daniel und ist erstaunt, dass seine Stimme immer noch ruhig klingt. „Das heißt, in jeder Klasse eine Person. Durchschnittlich.“
„Das ist Quatsch“, sagt Lars. „Bei uns an der Schule doch nicht.“
„Und das ist auch gut so“, sagt Max. „Ich will schließlich nicht jedes Mal nach dem Sport Angst um meinen Arsch haben.“
„Hast du dich mal von hinten gesehen?“, sagt Daniel. „So super ist dein Arsch auch wieder nicht.“
Daniel erstarrt. Hat er das gesagt? Er hat sich selbst gehört, aber er kann das unmöglich gesagt haben. Eine akustische Halluzination?
Betty mustert ihn mit einem langen Blick, aber sie ist die Einzige. Lars und Max haben inzwischen begonnen, eine tuntige Show mit abgespreizten Fingern und komischen Falsettstimmen abzuziehen.
„Ihr seid echt Kinder“, sagt Daniel laut. „An euch sieht man, dass so ein Artikel bitter nötig wäre.“
Max nimmt den gespreizten Finger runter und wird ernst.
„Ich finde die Idee nicht so prickelnd“, sagt er. „Wir hatten mit dem letzten Artikel über die Neonazis schon genug Ärger, weißt du das nicht mehr?“
„Du nennst aber nicht Schwule und Neonazis in einem Atemzug, oder?“
Max seufzt. „So war das nicht gemeint. Ich weiß nur nicht, warum du so auf diese Idee abfährst. Mach doch was anderes. Keine Ahnung. Interview die Jusos, wenn du was Gesellschaftspolitisches willst.“
„Ich finde die Idee nicht schlecht“, sagt Betty. „Die Homosexuellen, nicht die Jusos. Das sind doch so Leute, über die man gar nichts weiß. Die werden voll unterdrückt von den anderen.“
„Macht, was ihr wollt.“ Max wirft die Hände hoch. „Ich finde es scheiße. Wir schaden echt unserem Ruf mit solchen Themen.“
„Alles klar, vergiss es“, sagt Daniel frustriert. „Ich mach was über Umweltschutz.“
„Bis Ende Juni“, sagt Lars. „Dann ist Druck.“
***
„Sag mal …“
Daniel zögert, das Thema anzuschneiden. Ist gerade alles so friedlich hier und entspannt. Schule ist aus und vor ihm liegt ein langer, sonniger Nachmittag, den er ausnahmsweise nicht im schattigen Aquarienladen verbringen muss. Stattdessen sitzt er mit Mick unten am Fluss, lässt die Füße ins Wasser baumeln und isst Eis.
„Hm?“
Mick schiebt die Sonnenbrille hoch und blinzelt zu ihm hinüber.
„Hast du jemals darüber nachgedacht, dich zu outen?“
„Wie meinst du denn das?“
„So wie ich es sage. Mama, Papa, ich bin schwul. Oder: hallo Leute, ich bin schwul.“
„Ähm. Nö, nicht wirklich.“
„Warum nicht?“
Mick lässt die Sonnenbrille wieder auf die Nase kippen und fängt mit der Zunge einen Tropfen Himbeereis vom Rand seiner Waffel. Daniel versucht sein Bestes, sich von dem Anblick nicht ablenken zu lassen.
„Weil die Reaktionen so scheiße sind“, sagt Mick nach einer Denkpause.
„Woher weißt du das, wenn du’s nicht ausprobiert hast?“
Mick grinst.
„Ich hab mir mal den Spaß erlaubt und einen Kumpel geoutet. Luis.“
„Wer ist denn Luis?“
„Gibt’s nicht. Hab ich erfunden. Ich wollte nur mal die Gesichter sehen.“
„Und?“
„Na ja. Alle nicken und sagen Sachen wie, aha, okay, muss ja jeder selber wissen und so, aber du siehst, wie hinter ihren Augen ein Film abgeht. Die hören schwul und stellen sich sofort vor, wie einer mit einem Kerl fickt. Ich meine, wenn ich höre, Benny ist jetzt mit Sophie zusammen, dann stell ich mir doch auch nicht sofort vor, wie die ficken, oder?“
„Du nicht. Du bist ja auch schwul.“
Mick lacht und nickt.
Etwas Kaltes kitzelt Daniels Hand. Die Kugel Schoko ist in Auflösung begriffen und läuft an der Waffel runter. Eilig holt
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