Fliegende Fische Band (Junge Liebe ) (German Edition)
Lilli.
„Das sehe ich.“ Baumgart deutet auf Lillis Collegeblock, dessen Papier unschuldig weiß leuchtet. „Also, geben Sie schon den Zettel her.“
„Nein“, flüstert Daniel atemlos.
„Nein“, sagt Lilli.
„Das ist eine Anordnung, keine Diskussionsgrundlage!“, faucht Baumgart. „Geben Sie her!“
Lilli zerknüllt den Zettel in ihrer Faust und steckt ihn sich in den Mund. Die Klasse kichert. Daniel klammert sich an den Dorian Gray. Dann, einem Geistesblitz folgend, schnappt er den Zeitungsausriss vom Tisch und versenkt ihn in der Gesäßtasche seiner Jeans.
Lilli kaut ungerührt und schaut zu Baumgart hinauf.
„Eine Zusammenfassung des Referates, zwei Seiten, bis Montag!“, verfügt Baumgart. „Benotet. Damit ich sehe, wie multitaskingfähig Sie sind, Fräulein Morovic.“
„Okay“, sagt Lilli mit vollem Mund.
Baumgart wendet sich ab und Lilli krümmt sich angewidert und spuckt den Inhalt ihres Mundes in ein Taschentuch.
Daniel atmet auf.
Zwei Seiten über die Weimarer Republik, das kriegt er hin und es ist das Mindeste, was er für Lilli tun kann.
***
Freitagabend, und das Leben fühlt sich leer an.
Mick hat Bandprobe. Lilli ist auf Claras Party, Peter hat sein Handy ausgeschaltet und ist nicht zu erreichen.
Kurz nach zehn hat Daniel den Aufsatz über die Weimarer Republik fertig und an Lilli gemailt. Er hat sich richtig Mühe gegeben. Baumgart ist bekannt dafür, dass er die üblichen Internetquellen nachprüft und eine schlechte Note hat Lilli schließlich nicht verdient.
Daniel ist unzufrieden. Er ist nicht müde genug, um schlafen zu gehen und nicht wach genug, um etwas Vernünftiges mit seiner Zeit anzustellen. Er tritt hinaus auf den kleinen Balkon und schaut hinunter auf die Kreuzung.
Das Einzige, was er an dieser Wohnung richtig gerne mag, ist die Aussicht. Neunter Stock, das ist schon ganz beeindruckend.
Draußen ist es noch nicht richtig dunkel. Eine laue Sommernacht und unten auf der Straße reihen sich die Autos mit ihren Scheinwerfern aneinander und bilden eine hübsche Party-Lichterkette. Daniel denkt, dass er wahrscheinlich der einzige Jugendliche in dieser Stadt ist, der sich an so einem Abend langweilt. Er überlegt, ob er zur Band probe gehen soll, aber dann glaubt Kathy vielleicht noch, er würde sich für sie interessieren und Mick denkt, dass er ihm hinterherläuft wie ein Hündchen.
Jemand hat einen Zigarettenstummel zwischen den Begonien im Blumenkasten hinterlassen. Daniel drückt ihn mit dem Zeigefinger tiefer in die Erde. Seine Mutter würde ausrasten, wenn sie wüsste, dass hier geraucht wurde und sei es nur auf dem Balkon.
Daniel fragt sich, ob Mick seinen Rauchboykott durchhalten wird. Seine Küsse schmecken anders seit ein paar Tagen, das Bittere ist daraus verschwunden, soweit man das bei einigen flüchtigen Begegnungen auf dem Schulklo und hinter dem Fahrradschuppen feststellen kann.
Daniel versucht sich eine Welt vorzustellen, in der Schwulsein normal ist. Es muss schön sein, sich zu umarmen und zu küssen, wenn man sich in der Pause trifft. Arm in Arm zu sitzen wie Lilli und Jo und ganz öffentlich Händchen zu halten. Den Stolz zu zeigen, den man auf den anderen empfindet.
Daniel ist irrsinnig stolz darauf, dass einer wie Mick sich für ihn interessiert. Auch wenn er nicht weiß, wie lange das Interesse anhalten wird. Mick ist kein zuverlässiger Typ, nicht wie Jo. Jo und Lilli werden in fünf Jahren noch zusammen sein. Das mit Mick hingegen fühlt sich an wie der Tanz auf einer Rasierklinge.
Nebenan klappt die Balkontür und Hansmann, der Rentner mit dem steifen Knie, kommt auf den Balkon, um eine seiner scheußlichen Zigarren zu rauchen. Daniel nickt ihm zu und tritt die Flucht ins Wohnzimmer an.
Seine Mutter macht es sich gerade im Bademantel mit einer Schüssel Gummibärchen vor dem Fernseher gemütlich.
„Ich habe einen Film“, sagt sie und wedelt mit der DVD-Hülle. „Willst du mitgucken?“
„Ich dachte, der Player ist kaputt?“, fragt Daniel überrascht.
„Vorhin ging er wieder. Verschrei es nicht. Vielleicht nur ein Wackelkontakt.“
„Was denn für ein Film?“
„Das Leben der anderen.“ Sie hält ihm die Hülle hin. „Über die DDR und die Stasi. Muss ein toller Film sein. Hab ich von Ulrike geliehen.“
„Ich weiß nicht.“ Daniel hat gerade genug mit seinem eigenen Leben zu tun. „Ich geh vielleicht noch mal weg.“
„Aha – wohin denn?“
„Mann, Mama. Keine Ahnung.“
„Na, das klingt ja
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