Flieh Wenn Du Kannst
Sie starb einige Monate vor Amandas Geburt.«
»Das muß sehr hart für Sie gewesen sein, Ihre Mutter gerade zu einem Zeitpunkt zu verlieren, als Sie selbst Mutter wurden.«
Bonnie zuckte mit den Achseln.
»Starb sie plötzlich?«
Bonnie sagte nichts.
»Ist das eine schwierige Frage für Sie, Bonnie?« fragte Dr. Greenspoon interessiert.
»Sie war vorher lange krank gewesen«, antwortete Bonnie nach einer weiteren längeren Pause. »Aber es kam trotzdem plötzlich.«
»Sie haben nicht erwartet, daß sie sterben würde?«
»Sie war seit Jahren krank gewesen«, erklärte Bonnie ungeduldig. »Sie hatte Allergien, Migräne, ein schwaches Herz. Sie hatte von Geburt an einen Herzfehler und konnte daher vieles nicht tun.«
»Und sie war viel bei Ärzten?« fragte Dr. Greenspoon.
»Ja, wahrscheinlich«, bekannte Bonnie mit Unbehagen. »Worauf wollen Sie hinaus?«
»Sie finden es nicht merkwürdig, daß Sie sich jegliche Krankheit verbieten, obwohl Ihre Mutter so viele körperliche Leiden hatte? Daß Sie nicht einmal in Betracht ziehen, sich ärztlich untersuchen zu lassen, obwohl Ihre Mutter sehr viel mit Ärzten zu tun hatte?«
Bonnie konnte kaum noch stillsitzen. Mit dem rechten Fuß klopfte sie nervös auf den Boden. Sie zuckte mit den Achseln, ohne ein Wort zu sagen. Warum war sie hierhergekommen? Dieser Mann half ihr doch überhaupt nicht; im Gegenteil, es ging ihr schlechter als vorher.
»Woran ist sie gestorben?« fragte Dr. Greenspoon.
»Der Arzt sagte, es sei ein Schlaganfall gewesen.«
»Aber Sie sind anderer Meinung?«
»Ich glaube nicht, daß es so einfach war.«
»Wieso?«
»Darauf möchte ich jetzt wirklich nicht eingehen.«
»Wie Sie wollen«, meinte Dr. Greenspoon ruhig. »Wie ist es mit Ihrem Vater?«
»Wie soll es mit ihm sein?«
»Ist er gesund?«
»Es sieht so aus.«
»Stehen Sie einander nahe?«
»Nein.«
»Können Sie mir sagen, warum nicht?«
»Mein Vater hat meine Mutter vor langer Zeit verlassen. Ich habe ihn danach nicht mehr oft gesehen.«
»Und Sie nehmen ihm das natürlich übel.«
»Es war sehr schwer für meine Mutter.«
»Fingen damals ihre Krankheiten an?«
»Nein. Sie war schon vorher krank. Ich sagte Ihnen ja, sie hatte einen Herzfehler. Aber nachdem er sie verlassen hatte, wurde es schlimmer, das steht außer Frage.«
»Und Ihr Bruder? Ging er mit Ihrem Vater oder blieb er bei Ihnen und Ihrer Mutter?«
»Er blieb bei uns.« Bonnie lachte. »Es ist wirklich komisch, wissen Sie, er lebt jetzt mit meinem Vater und seiner Frau, Ehefrau Nummer drei, im Haus meiner Mutter. Glücklich und zufrieden.«
»Aber Sie scheinen darüber nicht sehr glücklich zu sein.«
Bonnie lachte wieder, lauter diesmal. »Es ist doch manchmal wirklich komisch, wie das Leben spielt, finden Sie nicht, Doktor Greenspoon?«
»Manchmal, ja.«
»Aber wozu von diesen Dingen reden? Die sind doch völlig uninteressant!«
»Wie häufig sehen Sie Ihren Vater?« fragte Dr. Greenspoon, als hätte sie gar nichts gesagt.
»Ich hab’ ihn vor ein paar Wochen gesehen«, antwortete Bonnie, wohl wissend, daß sie damit Dr. Greenspoons Frage nicht beantwortet hatte.
»Bevor es Ihnen so schlecht ging?«
»Ja.«
»Und wann haben Sie ihn davor das letzte Mal gesehen?« fuhr er fort, offensichtlich nicht bereit, sich auf diese Weise abspeisen zu lassen.
»Davor habe ich ihn das letzte Mal bei der Beerdigung meiner Mutter gesehen.«
Dr. Greenspoon nahm sich ein paar Sekunden Zeit, um ihre Antwort zu bedenken. »Geben Sie Ihrem Vater die Schuld am Tod Ihrer Mutter?«
Bonnie rieb sich die Nase, fuhr sich durch das Haar, rutschte auf dem Sofa hin und her. »Was soll das alles, Doktor Greenspoon? Wollen Sie mir erklären, daß meine angesammelten feindseligen Gefühle gegen meine – wie nannten Sie es gleich? – meine Ursprungsfamilie... daß diese lang unterdrückten Gefühle hinter meinen gegenwärtigen Symptomen stecken?«
»Haben Sie denn lang unterdrückte, feindselige Gefühle?«
»Nun, man muß wohl nicht gerade ein Genie sein, um diese Frage zu beantworten, finden Sie nicht, Doktor Greenspoon?«
»Haben Sie mit Ihrem Vater jemals über Ihre Gefühle gesprochen?«
»Nein. Wozu auch?«
»Sie hätten es für sich tun können.«
»Und was hätte das gebracht? Er ändert sich bestimmt nicht mehr.«
»Sie würden es ja nicht für ihn tun.«
»Sie meinen, wenn ich mit ihm sprechen würde, ginge es mir wieder besser? Wollen Sie darauf hinaus?«
»Es könnte sich als befreiend erweisen. Aber
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