Flieh Wenn Du Kannst
korreliert mit einer Reihe unterschiedlicher Faktoren, zu denen unter anderem Ernährung, körperliche Bewegung, Abhärtung und Streß gehören. Vor allem aber hängt eine gute Gesundheit von guten Genen ab. Und von Glück.« Er lächelte. »Es könnte natürlich auch eine weit einfachere Erklärung für Ihr derzeitiges Befinden geben.«
»Und die wäre?«
»Besteht eine Chance, daß Sie schwanger sind?«
»Was?«
»Besteht die Chance, daß Sie schwanger sind?« wiederholte er, obwohl sie beide wußten, daß sie ihn schon beim erstenmal verstanden hatte.
»Nein«, stieß Bonnie ungeduldig hervor. »Nicht die geringste. Ich nehme regelmäßig die Pille.« Hatte sie ihm das nicht bei ihrem letzten Besuch bereits gesagt?
»Die Pille ist nicht hundertprozentig sicher. Ist es nicht möglich, daß Sie bei allem, was in letzter Zeit geschehen ist, ein-oder zweimal vergessen haben, sie zu nehmen?«
»Nein, das ist ausgeschlossen. Ich nehme sie ganz gewissenhaft jeden Tag. Ich vergesse sie nie.«
»Sie scheinen sehr sicher zu sein.« »Ich bin sehr sicher. Für mich steht seit langem fest, daß ich nur ein Kind haben möchte. Und ich achte sehr sorgfältig darauf, daß kein... sagen wir mal, Unfall passiert.«
»Das ist ja interessant. Und warum?«
»Warum was?«
»Warum möchten Sie nur ein Kind haben?«
»Finden Sie nicht, daß es schon viel zu viele Menschen auf der Welt gibt?«
»Ist das der Grund für Ihren Entschluß?«
»Finden Sie nicht, daß das Grund genug ist?«
»Es ist ein absolut bewundernswerter Grund. Aber ist es auch Ihr Grund?«
»Ich verstehe nicht.«
»Wenn Sie so felsenfest entschlossen sind, nur ein Kind zur Welt zu bringen, dann würde mich doch interessieren, warum Sie sich nicht sterilisieren ließen.«
Die Bemerkung war für Bonnie völlig überraschend. Sie merkte, wie ihr heiß wurde. »Ich habe für unnötige körperliche Eingriffe nichts übrig«, erwiderte sie.
»Könnte es auch noch einen anderen Grund geben?«
»Zum Beispiel?«
»Das müßten schon Sie mir sagen. Sie haben einen Bruder, wenn ich mich recht erinnere.«
Bonnie hielt unwillkürlich den Atem an, während sie auf Dr. Greenspoons nächste Bemerkung wartete.
»Ist er älter oder jünger?« fragte er.
»Jünger. Sechs Jahre.«
»Das ist eine lange Zeit.«
»Meine Mutter hatte dazwischen mehrere Fehlgeburten.«
»Ich verstehe. Ihr Bruder muß ihr also sehr viel bedeutet haben.«
»Ja, das stimmt.«
»Und wie fühlten Sie sich dabei?«
»Wie ich mich dabei fühlte?« wiederholte Bonnie tonlos. »Das weiß ich wirklich nicht mehr. Es ist schon so lange her. Ich war damals ja noch ein Kind.«
»Ein Kind, das sechs Jahre lang die ganze Aufmerksamkeit seiner Mutter genoß. Ich könnte mir vorstellen, daß es ein ziemlicher Schock war, sie plötzlich mit jemand anderem teilen zu müssen.«
»Soll das heißen, daß ich auf meinen Bruder eifersüchtig war?« fragte Bonnie.
»Ich denke, das wäre nur natürlich gewesen.« »Ich war glücklich, einen Bruder zu haben, Dr. Greenspoon. Nick war der niedlichste kleine Junge der Welt.«
»Warum wollen Sie selbst dann auf keinen Fall mehr als ein Kind haben?«
»Mein Mann hat bereits zwei Kinder aus seiner ersten Ehe«, erinnerte sie ihn. »Außerdem gibt es Menschen, die nicht dazu geschaffen sind, mehr als ein Kind zu haben. Sie wissen instinktiv, daß in ihrem Herzen nur für ein Kind Platz ist. Sie wissen, daß sie zwei Kinder nicht gleichermaßen lieben könnten, daß eines zu kurz kommen würde.«
»Und Sie fühlen sich zu kurz gekommen?«
»Hab’ ich das nicht eben gesagt?«
»Nein. Sie sagten >Menschen<.«
Bonnie biß sich auf die Unterlippe. »Das war nur so dahingesagt.«
»Erzählen Sie mir etwas über Ihre Familie.« Dr. Greenspoon lehnte sich auf dem Sofa zurück und knöpfte sein Jackett auf.
»Ich bin seit fünf Jahren verheiratet«, sagte Bonnie, etwas entspannter jetzt, da sie sich auf weniger heißem Boden befand. »Ich habe eine Tochter, Amanda.«
»Ich meinte Ihre Ursprungsfamilie«, warf er ein. »Ihre Eltern.«
Augenblicklich verkrampfte sich Bonnie wieder. Sie räusperte sich, lehnte sich zurück, beugte sich vor, machte eine Bewegung, die Beine zu kreuzen, und ließ es dann doch bleiben, zupfte an ihrem Haar. »Meine Mutter ist tot«, sagte sie so leise, daß Dr. Greenspoon sich wieder vorbeugen mußte, um sie zu hören. »Mein Vater lebt in Easton.«
»Wann ist Ihre Mutter gestorben?« fragte Dr. Greenspoon. »Vor fast vier Jahren.
Weitere Kostenlose Bücher