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Flieh Wenn Du Kannst

Flieh Wenn Du Kannst

Titel: Flieh Wenn Du Kannst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joy Fielding
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Platz fand.
    »Was ist mit meiner Mutter?« fragte Lauren ihren Vater.
    »Sie ist tot«, antwortete er ohne Umschweife.
    Mehrere Sekunden lang sagte Lauren gar nichts. Bonnie wäre gern zu ihr gegangen und hätte sie in die Arme genommen, um ihr zu sagen, daß sie keine Angst zu haben brauche, daß sie sich um sie kümmern würden, daß sie sie wie ein eigenes Kind lieben und alles gut werden würde; aber es war, als lägen Laurens Hände auf ihren Schultern und drückten sie nieder und sträubten sich gegen jeden Trost von ihr.
    »Sie ist immer wie eine Verrückte gefahren«, flüsterte Lauren. »Ich hab’ ihr so oft gesagt, sie soll langsam fahren, aber sie hat’s nie getan, und dauernd hat sie alle anderen auf der Straße angebrüllt und beschimpft. Du hättest sie hören sollen. Ich hab’ immer gesagt, sie soll sich abregen, daß man gegen den Verkehr nun mal nichts tun kann, aber...«
    »Es war kein Autounfall«, unterbrach Rod.
    »Was?« Lauren war plötzlich wie erstarrt. »Was ist passiert?« fragte sie schließlich.
    »Sie ist erschossen worden«, antwortete Rod.
    »Erschossen?« Laurens Blick flog wie gehetzt durch das Zimmer, traf flüchtig mit dem Bonnies zusammen, schweifte sofort wieder ab. »Du meinst, sie ist ermordet worden?«
    »Die Polizei ist noch nicht sicher, was eigentlich passiert ist«, gab Rod ausweichend zurück.
    »Die Polizei?«
    »Ja. Sie werden bald hier sein«, sagte Rod.
    »Meine Mutter ist ermordet worden?« fragte Lauren wieder.
    »Es sieht so aus.«
    Zielstrebig ging Lauren plötzlich zur Haustür. Bonnie stand auf. Wohin wollte das Mädchen? Doch an der Tür drehte Lauren um und ging mit gleichermaßen zielstrebigem Schritt den Weg wieder zurück. Sie schien, soweit Bonnie erkennen konnte, kein anderes Ziel zu haben, als in Bewegung zu bleiben. Aber vielleicht war das Ziel genug.
    »Wer war es?« fragte Lauren. »Wissen sie schon, wer...?«
    Rod schüttelte den Kopf.
    »Und wo ist es passiert? Wo war es?«
    »In der Lombard Street. Deine Mutter war zu einer öffentlichen Hausbesichtigung dort.«
    Lauren begann zu weinen. Mit raschem Schritt ging sie wieder zur Haustür zurück, machte auf dem dicken Absatz ihres schwarzen Schnürschuhs kehrt und marschierte wieder zur Mitte des Raumes.
    »Woher weißt du das?« fragte sie plötzlich. »Ich meine, wieso hat die Polizei mit dir gesprochen und nicht mit mir und Sam?«
    »Weil ich sie gefunden habe«, erklärte Bonnie nach einer kurzen Pause.
    Es war, als hätte plötzlich jemand die Zeit angehalten. Als wäre all das, dachte Bonnie später, was in diesem Moment geschah, in Wirklichkeit schon vor langer Zeit und irgendwo, an einem fernen Ort geschehen, und als sähen sie nur die Wiederholung der ganzen schrecklichen Szene auf einem von Rods Fernsehmonitoren, alles im Zeitlupentempo und irgendwie nicht ganz synchron: Bild um Bild drehte Lauren den Kopf nach Bonnie, ihr Pferdeschwanz hob sich träge in die Luft, schlug in einer Folge übertrieben wirkender Federbewegungen gegen ihre rechte Schulter, während unter stark geweiteten Pupillen Tränen von den Unterlidern der Augen rollten, die Hände zu Klauen gekrümmt in die Luft gegriffen und ihr Mund sich zu einem lautlosen Schrei geöffnet.
    Chaos folgte, als die Szene plötzlich wieder in den Fluß der Gegenwart gerissen wurde und mit rasender Geschwindigkeit ablief. Entsetzt sah Bonnie, wie Lauren durch den Raum flog und sich auf sie stürzte. Ihre Fäuste trafen Bonnies Brust und Gesicht, ihre Füße traten nach ihren Beinen. Der Angriff kam so plötzlich, war so erschreckend und unerwartet, daß Bonnie keine Zeit blieb, sich gegen die Schläge zu wehren. Auf einmal schrien alle zugleich.
    »Lauren, um Gottes willen!« brüllte Rod, während er versuchte, seine Tochter von Bonnie wegzureißen.
    »Was soll das heißen, du hast sie gefunden?« rief Lauren weinend. »Was soll das heißen?«
    »Lauren, bitte«, begann Bonnie, aber da traf Laurens linke Faust ihren Mund. Bonnie taumelte rückwärts, gegen die Treppe, und schmeckte zum zweiten Mal an diesem Tag Blut, diesmal allerdings ihr eigenes.
    »Lauren, Herrgott noch mal, hör auf!« Rod schaffte es endlich, seine Tochter um die Taille zu fassen und sie, immer noch tretend und laut schreiend, von Bonnie wegzuziehen. »Was ist denn in dich gefahren?« fuhr er sie zornig an. »Was soll das?«
    »Sie hat sie umgebracht!« schrie Lauren. Ihr Haar hatte sich aus dem grünen Band gelöst und flog in langen Strähnen um ihren Kopf, von

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