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Fliehe weit und schnell

Fliehe weit und schnell

Titel: Fliehe weit und schnell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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Gleichgültigkeit verloren. Er wirkte besorgt, angespannt.
    »Die Zelle ist neu«, sagte Adamsberg und hielt ihm zwei Decken hin. »Und das Bettzeug ist sauber.«
    Damas streckte sich wortlos aus, und Adamsberg schloß die Gittertür hinter ihm. Mit einem Gefühl des Unbehagens ging er in sein Büro zurück. Er hatte den Pestbereiter, er hatte recht gehabt, und ihm war nicht wohl. Dabei hatte der Kerl in acht Tagen fünf Menschen massakriert. Adamsberg zwang sich, daran zu denken, sich die Gesichter der Opfer vor Augen zu rufen, die junge Frau, die unter den Laster gelegt worden war.
    Schweigend warteten sie über eine Stunde. Danglard wagte nicht, etwas zu sagen. Niemand garantierte ihnen, daß sich in Damas' Kleidung Pestflöhe befanden. Müde kritzelte Adamsberg auf einem Blatt herum, das auf seinem Knie lag. Es war halb zwei morgens. Um zehn nach zwei rief Martin an.
    »Zwei Nosopsyllus fasciatus«, erklärte er wortkarg. »Lebend.«
    »Danke, Martin. Ein höchst wertvoller Fund. Lassen Sie sie nicht auf Ihren Fliesen weghüpfen, sonst verduftet unser ganzes Dossier mit den beiden Herren.«
    »Damen«, verbesserte der Entomologe. »Es sind Weibchen.«
    »Tut mir leid, Martin. Ich wollte niemandem zu nahe treten. Schicken Sie die Kleidung hierher zurück, damit der Verdächtige sich wieder anziehen kann.«
    Fünf Minuten später bewilligte der Richter, den sie aus dem Schlaf gerissen hatten, den Haftbefehl.
    »Sie hatten recht«, sagte Danglard und erhob sich mühsam und schlaff, mit tiefen Schatten unter den Augen. »Aber um ein Haar wär es schiefgegangen.«
    »Ein Haar ist stabiler, als man denkt. Man muß nur sehr behutsam und gleichmäßig daran ziehen.«
    »Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß Damas noch nicht geredet hat.«
    »Er wird reden. Er weiß jetzt, daß es aus ist. Er ist äußerst durchtrieben.«
    »Unmöglich.«
    »Doch, Danglard. Er spielt den Blöden. Und da er äußerst durchtrieben ist, spielt er ihn sehr gut.«
    »Wenn der Kerl Latein spricht, fresse ich mein Hemd«, sagte Danglard, als er ging.
    »Guten Appetit, Danglard.«
    Danglard schaltete seinen Computer aus, nahm den strohgeflochtenen Korb, in dem das Kätzchen schlief, und verabschiedete sich von der Nachtbelegschaft. In der Eingangshalle begegnete er Adamsberg, der ein Feldbett samt Decke aus dem Umkleideraum herunterbrachte.
    »Verdammt«, sagte Danglard, »schlafen Sie hier?«
    »Falls er redet«, erwiderte Adamsberg.
    Kommentarlos setzte Danglard seinen Weg fort. Was gab es da zu kommentieren? Er wußte, daß Adamsberg keine große Lust hatte, in seine Wohnung zurückzukehren, wo noch die Schwaden des Zusammenpralls in der Luft hingen. Morgen würde es besser gehen. Adamsberg war jemand, der sich mit seltener Geschwindigkeit erholte.
    Adamsberg stellte das Feldbett auf und legte die zusammengeknüllte Decke darauf. Er hatte den Pestbereiter, zehn Schritte von sich entfernt. Den Mann mit den Vieren, den Mann der grauenerregenden ›Speziellen‹, den Mann der Rattenflöhe, den Mann der Pest, den Mann, der seine Opfer erwürgte und mit Kohle einrieb. Dieses Einreiben mit Kohle, diese letzte Geste, sein gewaltiger Schnitzer.
    Er zog Jacke und Hose aus und legte das Handy auf den Stuhl. Ruf an, verdammt.
     

33
     
    Kurz hintereinander wurde mehrfach energisch an der Nachtglocke geläutet. Brigadier Estalère betätigte den Öffner für das Hoftor, und im Eingang erschien schweißgebadet ein Mann in einem hastig zugeknöpften Dreiteiler, aus dessen offenem Hemd schwarzes Brusthaar quoll.
    »Mach ein bißchen schneller, Freundchen«, sagte der Mann, der sich rasch in den schützenden Innenraum der Brigade begab. »Ich will eine Anzeige erstatten. Gegen den Mörder, gegen den Pestmann.«
    Estalère traute sich nicht, den Hauptkommissar zu alarmieren, und weckte Hauptmann Danglard.
    »Verdammt, Estalère«, knurrte Danglard in seinem Bett, »warum rufen Sie mich an? Schütteln Sie Adamsberg, er schläft im Büro.«
    »Das ist es ja, Hauptmann. Ich habe Angst, mich vom Kommissar tadeln zu lassen, falls es nicht wichtig ist.«
    »Und vor mir haben Sie weniger Angst, Estalère?«
    »Ja, Hauptmann.«
    »Da liegen Sie falsch. Haben Sie Adamsberg in den sechs Wochen, die Sie ihn jetzt kennen, schon mal brüllen hören?«
    »Nein, Hauptmann.«
    »Nun, das werden Sie auch in den nächsten dreißig Jahren nicht erleben. Bei mir aber schon, und zwar genau jetzt, Brigadier. Wecken Sie ihn, verdammt noch mal! Er braucht sowieso nicht viel Schlaf.

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