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Fliehe weit und schnell

Fliehe weit und schnell

Titel: Fliehe weit und schnell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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Frau gegangen war, hatte sie ihm alles zusammen für einen Freundschaftspreis dagelassen. Das war jetzt lange her, acht Jahre und siebenunddreißig Tage, und der Anblick von Marie, von hinten, wie sie in einem grünen Kostüm mit gemessenem Schritt den Gang entlangging, die Tür öffnete und dann hinter sich zuschlug, hatte sich während zweier langer Jahre und sechstausendfünfhundert Flaschen Bier in seinen Schädel gefressen. Und so war die Tonbildschau der Kinder, zweier Zwillingsjungen, zweier Zwillingsmädchen und des Kleinen mit den blauen Augen, zu seiner fixen Idee, seinem Hafen, seiner Rettung geworden. Tausende von Stunden hatte er damit verbracht, Möhren feiner als fein zu raspeln, Wäsche weißer als weiß zu waschen, mustergültige Schulranzen zu packen, zu bügeln und Waschbecken bis zum Erreichen der absoluten Keimfreiheit zu schrubben. Dann hatte sich diese totalitäre Phase allmählich ihrem Ende zugeneigt, um wieder in einen wenn auch nicht normalen, so doch akzeptablen Zustand überzugehen, verbunden mit einem Bierkonsum, der auf eintausendvierhundert Flaschen pro Jahr zurückgegangen war, allerdings, das mußte er einräumen, an schweren Tagen durch Weißwein ergänzt. Geblieben war die Gloriole seiner fünf Kinder, und die, so sagte er sich an manch düsterem Morgen, konnte ihm niemand nehmen. Was übrigens auch niemand beabsichtigte. Er hatte darauf gewartet, hatte auch alles dafür getan, daß eine Frau in umgekehrter Reihenfolge in sein Leben trat und blieb, das heißt die Tür öffnete, von vorn, und mit gemessenem Schritt und in einem gelben Kostüm über den Gang auf ihn zuging, aber das war verlorene Liebesmüh. Keine der Frauen war länger geblieben, und die Beziehungen waren flüchtig gewesen. Nicht daß er Anspruch auf eine Frau wie Camille erhoben hätte, deren straffes Profil so klar und so zart war, daß man sich fragte, ob man sie nicht sofort malen oder umarmen solle, nein. Nein, er verlangte nichts Unmögliches. Eine Frau, einfach nur eine Frau, auch wenn sie wie er nach unten floß, was machte das schon.
     
    Danglard sah, wie Adamsberg zurückkam, sich in sein Büro verzog und die Tür lautlos zudrückte. Adamsberg war auch nicht schön, aber er hatte das Unmögliche. Das heißt, doch, er war schön, auch wenn seine Gesichtszüge, jeder für sich betrachtet, eine solche Schlußfolgerung nicht eben nahelegten. Keinerlei Regelmäßigkeit, keinerlei Harmonie und nichts Imponierendes. Ein Eindruck vollständiger Unordnung, aber diese Unordnung verwandelte sich in ein verführerisches, manchmal geradezu prachtvolles Chaos, wenn Leben in sie kam. Danglard hatte das immer ungerecht gefunden. Sein eigenes Gesicht war ein ebenso kühner Zusammenbau wie das von Adamsberg, aber das Ergebnis war von geringem Interesse. Wohingegen Adamsberg ohne jeden Trumpf in seinem Anfangsblatt am Ende voll abgeräumt hatte.
    Da er sich seit seinem dritten Lebensjahr viel im Lesen und Nachdenken geübt hatte, war Danglard nicht eifersüchtig. Auch weil er die Tonbildschau hatte. Und auch deshalb, weil er diesen Kerl mochte, ungeachtet des fast chronischen Ärgers, den dieser ihm bereitete, ja, er mochte sogar das Gesicht seines Chefs, seine große Nase und sein ungewöhnliches Lächeln. Als Adamsberg ihm vorgeschlagen hatte, ihm auf den neuen Posten zu folgen, hatte er nicht eine Sekunde gezaudert. Inzwischen brauchte er Adamsbergs Unbekümmertheit so nötig wie ein entspannendes Sechserpack Bier, zweifellos, weil sie die ängstliche und bisweilen rigide Überaktivität seines eigenen Geistes kompensierte.
    Danglard musterte die geschlossene Tür. Sicher beschäftigte sich Adamsberg gerade auf irgendeine Weise mit den Vieren und versuchte, seinen Stellvertreter nicht zu verstimmen. Danglard nahm die Hände von der Tastatur und lehnte sich besorgt zurück. Seit dem Vorabend fragte er sich, ob er nicht auf dem Holzweg war. Denn diese spiegelverkehrte Vier hatte er bereits irgendwo gesehen. Er hatte sich kurz vor dem Einschlafen daran erinnert, als er allein in seinem Bett lag. Es war vor langer Zeit, vielleicht als er noch ein junger Mann war, bevor er sich entschloß, Bulle zu werden, und es war nicht in Paris. Da Danglard in seinem Leben nur sehr wenig gereist war, konnte er versuchen, die Spur dieser Vier in seiner Erinnerung wiederzufinden - falls überhaupt noch mehr davon übrig war als ein zu drei Vierteln gelöschter Eindruck.
     
    Adamsberg hatte die Tür geschlossen, weil er etwa vierzig Pariser

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