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Fliehe weit und schnell

Fliehe weit und schnell

Titel: Fliehe weit und schnell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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Decambrais zu und faßte ihn schüchtern am Arm.
    »Marie-Belle?« fragte er.
    Die junge Frau erhob sich auf die Zehenspitzen und gab ihm einen Kuß auf die Wange.
    »Danke«, sagte sie lächelnd. »Ich wußte, Sie würden es schaffen.«
    »Keine Ursache«, erwiderte Decambrais und lächelte ebenfalls.
    Die junge Frau verabschiedete sich mit einer raschen Handbewegung und ging am Arm eines großen braunhaarigen Mannes davon, dessen langes Haar ihm bis auf die Schultern fiel.
    »Sehr hübsch«, sagte Adamsberg. »Was haben Sie für sie getan?«
    »Ich habe dafür gesorgt, daß ihr Bruder einen Pullover anzieht, und glauben Sie mir, das war nicht leicht. Die nächste Etappe für November: eine Jacke. Ich arbeite daran.«
    Adamsberg gab sich keine Mühe, das zu verstehen; er spürte, daß er da an die verschlungenen Windungen eines Stadtteillebens rührte, die ihn nicht im geringsten interessierten.
    »Ganz was anderes«, sagte Decambrais. »Sie sind erkannt worden. Es waren schon Leute auf dem Platz, die wußten, daß Sie Bulle sind. Woran sie das gemerkt haben«, fügte er hinzu, indem er ihn rasch von oben bis unten musterte, »kann ich mir nicht erklären.«
    »Der Ausrufer?«
    »Vielleicht.«
    »Das ist nicht schlimm. Vielleicht ist das sogar gut.«
    »Ist das Ihr Stellvertreter, dahinten?« fragte Decambrais und deutete mit dem Kinn auf Danglard.
    »Hauptmann Danglard.«
    »Bertin, der große Normanne, der die Bar führt, erklärt ihm gerade die Jungbrunnen-Eigenschaften seiner Calvados-Hausmarke. In dem Rhythmus, in dem Ihr Hauptmann ihm gehorcht, wird er sich in der nächsten Viertelstunde um fünfzehn Jahre verjüngt haben. Ich sag Ihnen das nur, damit sie vorbereitet sind. Nach meiner Erfahrung ist das ein außergewöhnlicher Calvados, der einen allerdings den ganzen nächsten Vormittag schlicht außer Gefecht setzt.«
    »Danglard ist oft den ganzen Vormittag außer Gefecht gesetzt.«
    »Ach, na gut. Dennoch sollte er wissen, daß es sich um einen ganz besonderen Schnaps handelt. Man fühlt sich nicht nur außer Gefecht gesetzt, sondern irgendwie dumpf, wie betäubt, ein bißchen wie eine Schnecke in ihrem Schleim. Eine erstaunliche Veränderung.«
    »Ist sie schmerzhaft?«
    »Nein, es ist eher wie Ferien.«
    Decambrais verabschiedete sich und ging hinaus, wobei er es vorzog, nicht vor allen Leuten einem Polizisten die Hand zu geben. Adamsberg beobachtete weiter, wie sich Danglard verjüngte, und gegen acht Uhr setzte er ihn mit Gewalt an den Tisch, damit er etwas feste Nahrung zu sich nahm.
    »Wozu?« fragte Danglard, würdevoll und mit glasigem Blick.
    »Um heute nacht was zum Kotzen zu haben. Das macht sonst Bauchschmerzen.«
    »Sehr gute Idee«, erwiderte Danglard. »Essen wir.«
     

13
     
    Adamsberg bestellte ein Taxi, um Danglard vom Viking vor dessen Haustür zu transportieren, dann ließ er sich unter Camilles Fenstern absetzen. Vom Bürgersteig aus sah man das erleuchtete Glasdach des Ateliers unterm Dach, das sie bewohnte. Er lehnte sich an die Motorhaube eines Autos und verweilte ein paar Minuten, um dieses Licht mit seinen müden Augen zu fixieren. Dieser absurde, arbeitsreiche Tag würde sich in Camilles Körper auflösen, und bald würden von dem Pestphantasma nur noch Fetzen und schließlich Schleier und ein paar letzte Schwaden übrigbleiben.
    Er stieg die sieben Stockwerke hinauf und trat leise ein. Wenn Camille komponierte, ließ sie die Tür offen, um nicht mitten im Takt unterbrechen zu müssen. Camille saß an ihrem Synthesizer, den Kopfhörer über den Ohren, die Hände auf den Tasten, lächelte ihm zu und gab ihm mit einer Kopfbewegung zu verstehen, daß sie noch nicht fertig sei. Adamsberg blieb stehen, lauschte den Tönen, die durch die Kopfhörer drangen, und wartete. Die junge Frau arbeitete noch etwa zehn Minuten, dann nahm sie den Kopfhörer ab und schaltete den Synthesizer aus.
    »Ein Abenteuerfilm?« fragte Adamsberg.
    »Science-Fiction«, antwortete Camille und stand auf. »Eine Serie. Ich habe den Auftrag für sechs Folgen.«
    Sie kam zu ihm und legte ihm einen Arm um die Schulter.
    »Auf der Erde ist überraschend ein Typ aufgetaucht, der über übernatürliche Fähigkeiten verfügt und die Absicht hat, alle Welt abzumurksen, man erfährt nicht mal, warum«, erklärte sie. »Diese Frage scheint niemanden zu beschäftigen. Andere abmurksen zu wollen verlangt offenbar keine größere Erklärung, als trinken zu wollen. Er will abmurksen, das ist alles, und das ist von Anfang an

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