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Fliehe weit und schnell

Fliehe weit und schnell

Titel: Fliehe weit und schnell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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allgemeinen harmlos.«
    »Ich mach mir trotzdem Sorgen. Und ich behalt ihn im Auge.«
    »Sind sie bei dir mit den Gittern fertig?«
    »Noch zwei Fenster.«
    »Komm doch mal abends zum Essen. Eine Spargelmousse mit Kerbel, du wirst überrascht sein. Selbst du.«
    Adamsberg legte lächelnd auf und ging, die Hände in den Taschen, zum Mittagessen. Fast drei Stunden lang lief er unter einem ziemlich grauen Septemberhimmel herum und kehrte erst im Laufe des Nachmittags zur Brigade zurück.
    Als er näher kam, baute sich ein unbekannter Beamter vor ihm auf.
    »Kommissar Lamarre«, verkündete der Mann sofort, während er, den Blick zur gegenüberliegenden Wand gerichtet, an einem Knopf seiner Jacke nestelte. »Ein Anruf für Sie um dreizehn Uhr einundvierzig. Ein gewisser Decambrais, Hervé, erbittet einen Rückruf unter der hier angegebenen Telefonnummer«, ergänzte er und hielt ihm eine Notiz hin.
    Adamsberg sah Lamarre prüfend an und versuchte, seinen Blick aufzufangen. Der gequälte Knopf fiel zu Boden, aber der Mann blieb aufrecht stehen, mit baumelnden Armen. Etwas an seiner hochgewachsenen Statur, dem blonden Haar und den blauen Augen erinnerte Adamsberg an den Wirt des Viking.
    »Sind Sie Normanne, Lamarre?« fragte er ihn.
    »Jawohl, Herr Kommissar. Geboren in Granville.«
    »Kommen Sie von der Gendarmerie?«
    »Jawohl, Herr Kommissar. Ich habe mich qualifiziert, um in die Hauptstadt versetzt zu werden.«
    »Sie können ihren Knopf aufheben, Brigadier«, schlug Adamsberg vor. »Und Sie können sich setzen.«
    Lamarre führte den Vorschlag aus.
    »Und Sie können versuchen, mich anzusehen. In die Augen.«
    Leichte Panik verzerrte das Gesicht des Brigadiers, und sein Blick blieb hartnäckig auf die Wand gerichtet.
    »Es ist für die Arbeit«, erklärte Adamsberg. »Strengen Sie sich an.«
    Der Mann drehte langsam den Kopf.
    »So ist es gut«, stoppte ihn Adamsberg. »Rühren Sie sich nicht mehr. Sehen Sie weiter auf die Augen. Hier sind Sie bei der Polizei, Brigadier. Die Abteilung Kapitalverbrechen erfordert mehr Diskretion, Natürlichkeit und Menschlichkeit als jede andere. Zu Ihren Aufgaben gehört hier, sich einschleichen, sich verstecken zu müssen, verhören, bedrängen zu müssen, ohne entdeckt zu werden, Vertrauen einflößen und auch Tränen trocknen zu müssen. So, wie Sie jetzt sind, erkennt man Sie auf hundert Meilen, starr wie ein Stier auf seiner Weide. Sie werden lernen müssen, sich gehenzulassen, und das braucht länger als einen Tag. Erste Übung: Schauen Sie die anderen an.«
    »Gut, Herr Kommissar.«
    »In die Augen, nicht auf die Stirn.«
    »Ja, Herr Kommissar.«
    Adamsberg öffnete sein Notizbuch und notierte sich auf der Stelle: Viking, Knopf, Blick starr auf die Wand gleich Lamarre.
     
    Decambrais nahm beim ersten Klingeln ab.
    »Ich wollte Ihnen lieber Bescheid geben, daß unser Mann den kritischen Punkt erreicht hat, Kommissar.«
    »Das heißt?«
    »Am besten lese ich Ihnen die ›Speziellen‹ von heute morgen und heute mittag vor. Sind Sie bereit?«
    »Ich bin soweit.«
    »Die erste ist die Fortsetzung des Tagebuchs von diesem Engländer.«
    »Sepys.«
    »Pepys, Kommissar. Heute sah ich mit großem Unbehagen zwei oder drei Häuser, die mit einem roten Kreuz über den Türen markiert waren und die Inschrift trugen ›Der Herr sei uns gnädig‹, was mir ein trauriger Anblick war, das erste Mal, daß ich so etwas je sah, soweit ich mich erinnern kann.«
    »Es wird nicht besser.«
    »Das kann man wohl sagen. Dieses rote Kreuz kennzeichnete die Türen der infizierten Häuser, damit die Passanten sich von ihnen fernhalten konnten. Pepys ist also seinen ersten Pestkranken begegnet. In Wirklichkeit hat die Krankheit schon recht lange in den Vorstädten geschwelt, aber Pepys, der geschützt in der City der Reichen lebt, war darüber noch nicht informiert.«
    »Und die zweite Nachricht?« unterbrach Adamsberg.
    »Noch schlimmer. Ich lese sie Ihnen vor.«
    »Langsam«, bat Adamsberg.
    »Am 17. August gehen falsche Gerüchte dem Übel voraus, viele zittern, eine große Zahl indes hofft, unter Berufung auf den berühmten Arzt Rainssant. Unnötige Mühen: Am 14. September ist die Pest in die Stadt gelangt. Zunächst hat sie im Quartier Rousseau zugeschlagen, wo ein Toter nach dem anderen von ihrer Gegenwart zeugt.
      Da Sie das Blatt nicht vor Augen haben, weise ich Sie darauf hin, daß der Text gespickt ist mit Auslassungspunkten. Der Typ ist besessen, er erträgt es nicht, einen Originalsatz zu

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