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Fliehe weit und schnell

Fliehe weit und schnell

Titel: Fliehe weit und schnell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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allerdings nicht, vom Zufall der Datumsgleichheit abgesehen. Er war jedoch geneigt, dem Gedankengang Ducouèdics zu folgen. Morgen würde dieser Engländer, dieser Pepys, in London seinem ersten Pesttoten begegnen, am Beginn der Katastrophe. Ohne sich hinzusetzen, öffnete Adamsberg rasch sein Notizbuch und fand die Nummer des Mediävisten wieder, die Camille ihm gegeben hatte, dieses Typen, bei dem sie die spiegelverkehrte Vier gesehen hatte. Er sah auf die frisch aufgehängte Wanduhr, die fünf nach elf zeigte. Wenn der Typ Putzfrau war, hatte Adamsberg nur geringe Chancen, ihn jetzt zu Hause anzutreffen. Eine Männerstimme antwortete ihm, recht jung und geschäftig.
    »Marc Vandoosler?« fragte er.
    »Der ist nicht da. Er liegt in einem Reservegraben und hat Order, zu scheuern und zu bügeln. Ich kann eine Nachricht auf seiner Stube hinterlassen, wenn Sie möchten.«
    »Danke«, sagte Adamsberg, ein wenig überrascht.
    Er hörte, wie der Telefonhörer beiseite gelegt und geräuschvoll Papier und etwas zum Schreiben gesucht wurde.
    »Ich bin soweit«, meldete sich die Stimme wieder. »Mit wem habe ich die Ehre?«
    »Hauptkommissar Jean-Baptiste Adamsberg, Strafverfolgungsbrigade.«
    »Scheiße«, sagte die Stimme, mit einemmal ernst geworden. »Hat Marc Schwierigkeiten?«
    »Nicht die geringsten. Camille Forestier hat mir seine Nummer gegeben.«
    »Ah. Camille«, sagte die Stimme nur, verlieh diesem ›Camille‹ aber eine solche Nuance, daß Adamsberg, der kein eifersüchtiger Mensch war, doch eine kurze Erschütterung, oder mehr noch ein Gefühl der Überraschung, verspürte. In Camilles Umgebung gab es weite, stark bevölkerte Welten, von denen er aus Gleichgültigkeit nicht das geringste wußte. Wenn er durch Zufall ein Stückchen davon entdeckte, war er immer verwundert, so als sei er auf einen unbekannten Kontinent gestoßen. Wer sagte ihm, daß Camille nicht über viele Territorien herrschte?
    »Es geht um eine etwas rätselhafte Zeichnung«, fuhr Adamsberg fort. »Camille sagt, sie habe eine Abbildung davon bei Marc Vandoosler in einem seiner Bücher gesehen.«
    »Gut möglich«, erwiderte die Stimme. »Aber bestimmt nicht gerade aktuell.«
    »Wie bitte?«
    »Marc interessiert sich für nichts anderes als das Mittelalter«, erklärte die Stimme mit kaum spürbarer Verachtung. »Wenn's hochkommt, nähert er sich mal mit spitzen Fingern dem 16. Jahrhundert. Ich vermute, das ist nicht gerade Ihr Einsatzgebiet bei der Kriminalpolizei?«
    »Kann man nie wissen.«
    »Gut«, erwiderte die Stimme. »Aufgabe und Ziel?«
    »Wenn Ihr Freund die Bedeutung dieser Zeichnung kennt, könnte uns das helfen. Haben Sie ein Faxgerät?«
    »Ja, unter derselben Nummer.«
    »Ausgezeichnet. Ich werde Ihnen die Zeichnungen schicken, und wenn Vandoosler Informationen dazu hat, möge er so liebenswürdig sein, sie mir zu senden.«
    »Sehr gut«, sagte die Stimme. »Abteilung bereit. Anweisung wird ausgeführt.«
    »Monsieur...«, sagte Adamsberg, als der andere auflegen wollte.
    »Devernois. Lucien Devernois.«
    »Es ist eilig. Offen gestanden ist es sehr dringend.«
    »Verlassen Sie sich ganz auf meine Beflissenheit, Kommissar.«
    Und Devernois hängte ein. Ratlos legte Adamsberg den Hörer auf. Dieser Devernois, der ein bißchen hochmütig war, machte sich mit Bullen jedenfalls keine Umstände. Vielleicht ein Militär.
    Bis halb eins lehnte Adamsberg unbeweglich an der Wand und beobachtete sein stummes Faxgerät. Dann ging er verärgert hinaus, um sich auf die Suche nach etwas Eßbarem zu machen. Irgendwas, was die Straßen so boten, die er in der Umgebung der Brigade nach und nach entdeckte. Ein Sandwich, Tomaten, Brot, Obst, ein Stück Kuchen. Je nach Stimmung, nach Geschäften, völlig planlos. Entschlossen schlenderte er umher, eine Tomate in der einen und ein kleines Nußbrot in der anderen Hand. Er war versucht, den Tag draußen zu verbringen und erst am nächsten Morgen wiederzukommen. Aber Vandoosler konnte zu Hause zu Mittag gegessen haben. In welchem Falle die Chance bestand, eine Antwort zu bekommen und dieses Gebäude aus unhaltbaren Trugbildern zum Einsturz zu bringen. Um drei betrat er sein Büro, warf die Jacke über einen Stuhl und sah zum Faxgerät hinüber. Ein zu Boden gefallenes Blatt erwartete ihn.
     
    Monsieur, die spiegelverkehrte Vier, die Sie mir schickten, ist die exakte Wiedergabe der Chiffre, mit der die Menschen in manchen Gegenden zu Pestzeiten früher ihre Türen oder Fensterstürze versahen.

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