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Fliehe weit und schnell

Fliehe weit und schnell

Titel: Fliehe weit und schnell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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Großmäuler sich daran ein Beispiel nehmen.«
    Adamsberg war erstaunt. Er hatte die zweite Anzeige nicht verstanden, aber das Publikum blieb ernst, schien nicht irritiert und erwartete die Fortsetzung. Bestimmt die Macht der Gewohnheit. Wie für alles, war gewiß auch für ein gutes Zuhören Übung nötig.
    »Drei«, fuhr Joss unbeirrt fort. »Verwandte Seele gesucht, wenn möglich anziehend, wenn nicht, dann nicht. Vier: Hélène, ich warte noch immer auf dich. Dein verzweifelter Bernard. Fünf: Der Dreckskerl, der meine Klingel kaputtgemacht hat, kann sich auf eine böse Überraschung gefaßt machen. Sechs: Biete Yamaha 750 FZX 92, 39000 km, Reifen und Bremsen neu, komplett überholt. Sieben: Was sind wir, ja, was sind wir eigentlich genau? Acht: Führe sorgfältig kleine Näharbeiten aus. Neun: Wenn die Menschheit eines Tages auf den Mars ziehen sollte, dann ohne mich. Zehn: Verkaufe fünf Stiegen französische grüne Bohnen. Elf: Den Menschen klonen? Ich glaube, es gibt schon genug Idioten auf der Erde. Zwölf...«
    Adamsberg ließ sich mehr und mehr von der Litanei des Ausrufers einlullen, während er die kleine Menge beobachtete, diejenigen, die sich auf einem Zettel etwas notierten, und diejenigen, die reglos auf den Ausrufer sahen, die Tasche in der Hand, und sich von einem langen Tag im Büro auszuruhen schienen. Nach einem raschen Blick zum Himmel ging Le Guern zur Wettervorhersage und zum Seewetterbericht über - auffrischender Westwind, drei bis fünf am Abend -, der alle Anwesenden zufriedenzustellen schien. Dann kam eine weitere Folge von Anzeigen, praktische und metaphysische. Adamsberg wurde wach, als er sah, wie Ducouèdic sich bei Anzeige 16 aufrichtete.
    »Siebzehn«, fuhr der Ausrufer fort. »Diese Geißel ist also vorhanden und existiert irgendwo, und diese Existenz ist ein Ergebnis der Schöpfung, da nichts Neues entsteht und da es nichts gibt, das existiert, aber nicht erschaffen worden wäre.«
    Der Ausrufer warf ihm einen raschen Blick zu und bedeutete ihm damit, daß man die ›Spezielle‹ hinter sich habe, dann ging er zur 18 über: »Es ist riskant, Efeu an Nachbarmauern hochwachsen zu lassen.« Adamsberg lauschte bis zum Ende, einschließlich dem unerwarteten Bericht über die Irrfahrt der Louise Jenny, eines französischen Dampfschiffs von 546 Tonnen, beladen mit Wein, Likören, Trockenfrüchten und Konserven, das bei Basseaux-Herbes gekentert war und bei Pen Bras Schiffbruch erlitten hatte, die Mannschaft verloren bis auf den Schiffshund. Auf die letzte Nachricht folgte befriedigtes, aber auch bedauerndes Gemurmel, worauf sich ein Teil des Publikums in Richtung Viking bewegte. Der Ausrufer war bereits von seinem Podest gestiegen, das er mit einer Hand hochhob, da die Abendausgabe beendet war. Adamsberg drehte sich irritiert zu Danglard um, um dessen Meinung zu hören, aber Danglard war bereits gegangen, aller Wahrscheinlichkeit nach, um sein Glas auszutrinken, das er hatte stehenlassen müssen.
    Adamsberg fand ihn mit heiterem Gesicht an der Theke des Viking.
    »Außergewöhnlicher Calvados«, bemerkte Danglard und deutete mit dem Finger auf sein kleines Glas. »Einer der besten, die mir je begegnet sind.«
    Eine Hand legte sich auf Adamsbergs Schulter. Ducouèdic bedeutete ihm, zu ihm an den hintersten Tisch zu kommen.
    »Da Sie in der Nähe sind«, sagte er, »ist es vielleicht besser, Sie wissen, daß außer dem Ausrufer hier niemand meinen richtigen Namen kennt. Verstehen Sie? Hier bin ich Decambrais.«
    »Einen Augenblick«, erwiderte Adamsberg und schrieb sich den Namen in sein Notizbuch.
    Pest, Ducouèdic, weißes Haar gleich Decambrais.
    »Ich habe gesehen, wie Sie sich während des Ausrufens etwas notiert haben«, sagte Adamsberg, als er sein Notizbuch wieder einsteckte.
    »Anzeige 10. Ich möchte die grünen Bohnen kaufen. Man findet hier gute Ware, und das gar nicht teuer. Was aber die ›Spezielle‹ angeht, so...«
    »Die ›Spezielle‹?«
    »Die Anzeige des Verrückten. Jetzt ist zum erstenmal der Name der Pest aufgetaucht, wenn auch noch maskiert: die ›Geißel‹. Das ist eine ihrer Bezeichnungen, sie hat noch viele andere. Das große Sterben, die Beulenkrankheit, die pestilenzische Sucht... Die Menschen haben sich gehütet, ihren wahren Namen zu nennen, so große Angst hatten sie vor ihr. Der Kerl rückt immer näher. Jetzt hat er sie fast benannt, er ist fast am Ziel.«
    Eine zierliche junge blonde Frau mit im Nacken zusammengebundenem lockigem Haar trat auf

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