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Fliehe weit und schnell

Fliehe weit und schnell

Titel: Fliehe weit und schnell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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unbestritten. Besonderes Kennzeichen des Typen: Er schwitzt nicht.«
    »Gleicher Fall bei mir«, bemerkte Adamsberg. »Science-Fiction. Ich bin erst am Anfang der ersten Folge, und ich verstehe nichts. Auf der Erde ist ein Typ aufgetaucht, der die Absicht hat, alle Welt abzumurksen. Übernatürliches Kennzeichen: Er spricht Latein.«
     
    Mitten in der Nacht öffnete Adamsberg auf eine schwache Bewegung Camilles hin die Augen. Sie war eingeschlafen, den Kopf auf seinem Bauch liegend, und er hielt die junge Frau mit beiden Armen und beiden Beinen. Das irritierte ihn leicht. Er löste sich behutsam, um ihr Platz zu machen.
     

14
     
    Nach Einbruch der Nacht bog der Mann in den kurzen, baumbestandenen Weg ein, der zu dem heruntergekommenen Haus führte. Das Relief der blankliegenden Pflastersteine und die glänzende alte Holztür, gegen die er fünfmal schlug, kannte er wie seine Westentasche.
    »Bist du's?«
    »Ja, Mané. Mach auf.«
    Eine dicke, große alte Frau ging ihm mit der Taschenlampe bis zur Wohnküche voraus. In dem kleinen Flur gab es keinen Strom. Schon oft hatte er der alten Mané vorgeschlagen, ihr Haus renovieren und mit etwas Komfort ausstatten zu lassen, aber sie hatte seine Vorschläge mit gleichbleibendem Starrsinn zurückgewiesen.
    »Später, Arnaud«, hatte sie gesagt. »Wenn es dein Geld ist. Mir ist dein toller Komfort egal.«
    Dann hatte sie auf ihre Füße gezeigt, die in schweren, schwarzen Mokassins steckten.
    »Weißt du, wie alt ich war, als man mir mein erstes Paar gekauft hat? Vier Jahre. Bis ich vier war, bin ich barfuß gelaufen.«
    »Ich weiß, Mané«, hatte der Mann erwidert. »Aber das Dach ist undicht, und das macht die Dielen auf dem Speicher kaputt. Ich will nicht, daß du eines Tages da durchfällst.«
    »Kümmre du dich lieber um deine Angelegenheiten.«
    Der Mann setzte sich auf das geblümte Sofa, und Mané brachte Likör und einen Teller mit Keksen.
    »Früher konnte ich dir kleine Kekse mit Rahm machen«, sagte Mané, als sie ihm den Teller hinstellte. »Aber heute findet man keine Milch mehr, auf der sich Rahm bildet. Damit ist es vorbei, vorbei. Du kannst sie zehn Tage an der Luft stehen lassen, sie wird einfach schlecht, ohne einen Hauch Rahm zu bilden. Das ist keine Milch mehr, das ist Wasser. Ich bin gezwungen, sie durch Sahne zu ersetzen. Ich bin gezwungen, Arnaud.«
    »Ich weiß, Mané«, erwiderte Arnaud und füllte die Gläser. Die alte Frau suchte immer große aus.
    »Verändert das den Geschmack sehr?« fragte sie.
    »Nein, sie sind ebensogut, ganz bestimmt. Mach dir wegen der Kekse keine Sorgen.«
    »Du hast recht. Schluß mit dem Mist. Wie weit bist du?«
    »Alles ist bereit.«
    Ein breites, hartes Lächeln erschien auf Manés Gesicht.
    »Wie viele Türen?«
    »Zweihundertdreiundfünfzig. Ich bin immer schneller geworden. Sie sehen sehr schön aus, weißt du, sehr zierlich.«
    Das Lächeln der alten Frau wurde noch breiter und ein wenig sanfter.
    »Du hast alle Gaben, mein Arnaud, und du wirst sie dir erneut zu eigen machen, das schwöre ich dir beim Evangelium.«
    Arnaud lächelte ebenfalls und lehnte den Kopf an den dicken, hängenden Busen der alten Dame. Sie roch nach Parfüm und Olivenöl.
    »Alle, mein kleiner Arnaud«, wiederholte sie und strich ihm übers Haar. »Sie werden krepieren bis zum letzten Mann, ganz allein, ohne jede Hilfe.«
    »Alle«, sagte Arnaud und drückte ihr fest die Hand.
    Die alte Frau schreckte auf.
    »Hast du deinen Ring, Arnaud? Deinen Ring?«
    »Keine Sorge«, sagte er und richtete sich auf. »Ich habe ihn nur an die andere Hand gesteckt.«
    »Zeig ihn mir.«
    Arnaud gab ihr die rechte Hand, deren Mittelfinger mit einem Ring geschmückt war. Sie strich mit dem Daumen über den schimmernden Diamanten. Dann streifte sie ihm den Ring vom Finger und steckte ihn ihm an die linke Hand.
    »Laß ihn an deiner Linken«, befahl sie, »und zieh ihn' niemals ab.«
    »Gut. Hab keine Sorge.«
    »Links, Arnaud. Am Ringfinger.«
    »Ja.«
    »Wir haben gewartet. Wir haben Jahre gewartet. Heute abend ist es soweit. Ich danke dem Herrn, der mich hat alt werden lassen, damit ich diese Nacht erlebe. Und wenn Er dies tat, Arnaud, dann, weil Er es wollte. Er wollte, daß ich da sey, damit du es erfüllest.«
    »Das stimmt, Mané.«
    »Trinken wir, Arnaud, auf dein Wohl.«
    Die alte Frau erhob ihr Glas und stieß mit Arnaud an. Sie tranken schweigend mehrere Schlucke, seine Hand noch immer in ihrer.
    »Schluß mit dem Mist«, sagte Mané. »Ist

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