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Fliehe weit und schnell

Fliehe weit und schnell

Titel: Fliehe weit und schnell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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eine Frage von Tagen. Er wird sich die Möglichkeit selbst eröffnen. Wenn er weitermacht, wenn er weiter tötet, wenn er seinen schwarzen Tod verbreitet, werden wir eine Massenhysterie nicht verhindern können.«
    »Was wollen Sie also tun, Kommissar?« fragte Favre mit leiser Stimme.
    »Leben retten. Wir werden eine Bekanntmachung veröffentlichen, die die Bewohner der mit Ziffern versehenen Gebäude auffordert, sich bei den Kommissariaten zu melden.«
    Allgemeines Stimmengewirr signalisierte das Einverständnis aller Beamten der Brigade. Adamsberg fühlte sich erschöpft, weil er an diesem Nachmittag vor allem Bulle war. Am liebsten hätte er sich damit begnügt zu sagen: »Wir gehen jetzt an die Arbeit, und jeder sieht, wie er zurechtkommt.« Statt dessen mußte er Fakten darlegen, Fragen aufgliedern, das Vorgehen bei der Ermittlung bestimmen, Aufgaben auf ihr Ziel ausrichten. In einer bestimmten Ordnung und mit einer gewissen Autorität. Flüchtig sah er sich wieder vor sich, wie er als Kind über Bergpfade gerannt war, nackt in der Sonne, und er fragte sich, was er hier machte, wie er dazu kam, dreiundzwanzig Erwachsene, deren Augen ihm wie ein Pendel folgten, ins Gebet zu nehmen.
    Doch, er erinnerte sich, was er hier machte. Es gab jemanden, der andere erwürgte, und er, Adamsberg, suchte ihn. Es war seine Arbeit, solche Menschen daran zu hindern, Leute abzumurksen.
    »Die wichtigsten Ziele«, faßte Adamsberg zusammen, während er sich aufrichtete, »sind erstens: Schutz der potentiellen Opfer. Zweitens: Erstellung der Opferprofile und Suche nach jeder möglichen Verbindung zwischen ihnen, Familie, Alter, Geschlecht, beruflichsoziales Umfeld, die ganze übliche Routine. Drittens: Überwachung der Place Edgar-Quinet. Viertens, und das versteht sich von selbst: Suche nach dem Mörder.«
    Adamsberg ging zweimal ziemlich langsam quer durch den Saal, bevor er fortfuhr.
    »Was wissen wir über ihn? Vielleicht ist es eine Frau, diese Möglichkeit können wir nicht ausschließen. Ich tendiere zu einem Mann. Dieses literarische Paradieren, diese Zurschaustellung erinnert an männlichen Stolz, an das Verlangen, öffentlich aufzutreten, das Bedürfnis, Stärke zu demonstrieren. Wenn sich bestätigen sollte, daß der Tod durch Erwürgen herbeigeführt wurde, können wir fast sicher davon ausgehen, daß wir es mit einem Mann zu tun haben. Ein sehr gebildeter, ja äußerst gebildeter Mann, ein Literat. Gutsituiert, da er über einen Computer und einen Drucker verfügt. Vielleicht mit Geschmack am Luxus. Die von ihm verwendeten Umschläge sind ungewöhnlich und teuer. Er ist zeichnerisch begabt, sauber, sehr sorgfältig. Und ganz sicher von seinem Plan besessen. Also ängstlich und abergläubisch. Ja, vielleicht war er sogar mal im Knast. Wenn das Labor bestätigt, daß das Schloß aufgebrochen wurde, müßten wir in dieser Richtung arbeiten. Häftlinge überprüfen, deren Initialen CLT lauten, wenn es sich denn dabei wirklich um seine Unterschrift handelt. Kurz, wir wissen nichts.«
    »Und die Pest? Warum die Pest?«
    »Wenn wir das verstehen, haben wir ihn.«
    Unter dem Scharren der Stühle löste sich die Gruppe auf.
    »Verteilen Sie die Aufgaben, Danglard, ich werde zwanzig Minuten laufen.«
    »Soll ich die Bekanntmachung vorbereiten?«
    »Bitte. Sie werden das besser machen als ich.«
     
    Die von Adrien Danglard in nüchternem Ton verfaßte Meldung lief auf allen Kanälen in den Acht-Uhr-Fernsehnachrichten. Alle Bewohner von Wohnblöcken und Häusern, deren Türen mit einer Vier markiert waren, wurden aufgefordert, sich so bald wie möglich beim nächsten Kommissariat zu melden. Der vorgebliche Grund: die Fahndung nach einer organisierten Bande.
    Ab halb neun klingelten in der Brigade pausenlos die Telefone. Ein Drittel der Mannschaft war dageblieben, Danglard und Kernorkian hatten Essen und Wein besorgt und alles auf den Arbeitstisch der Elektriker gestellt. Um halb zehn hatte man vierzehn weitere betroffene Gebäude registriert, insgesamt also neunundzwanzig, die Adamsberg auf dem Stadtplan mit roten Punkten markierte. Man hatte eine Liste erstellt, auf der die Vieren chronologisch nach dem Zeitpunkt ihres Auftauchens erfaßt waren. Auch die Bewohner der achtundzwanzig Wohnungen mit den unberührt gebliebenen Türen waren jetzt verzeichnet. Sie erschienen auf den ersten Blick sehr unterschiedlich: Kinderreiche Familien, Alleinstehende, Frauen, Männer fanden sich darunter, junge Leute, solche mittleren Alters, Alte,

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