Fliehe weit und schnell
mit einer Mischung verschiedener Waldgehölze gefüllt sind. Den elfenbeinfarbenen Umschlag konnte man in jedem besser sortierten Schreibwarengeschäft zum Preis von drei Francs zwanzig pro Stück bekommen. Er war mit einer glatten Klinge geöffnet worden. Er enthielt nur Papierstaub sowie ein kleines totes Insekt. Ob man das Tierchen dem Entomologen bringen solle? Adamsberg hatte die Stirn gerunzelt und dann zugestimmt.
»Christian Laurent Taveniot«, las Danglard, über den Bildschirm gebeugt, vor. »Vierunddreißig Jahre, geboren in Villeneuve-les-Ormes. Vor zwölf Jahren wegen Körperverletzung im Zentralgefängnis von Périgueux in Haft genommen. Achtzehn Monate Knast und zwei Monate zusätzlich wegen eines Angriffs auf das Wachpersonal.«
Danglard ließ die Akte auf dem Bildschirm hochrollen, und alle reckten den Hals, um CLT zu sehen, ein langes Gesicht mit niedriger Stirn, breiter Nase und engstehenden Augen. Rasch las Danglard weiter.
»Nach der Haftentlassung ein Jahr arbeitslos, dann Nachtwächter auf einem Schrottplatz. Wohnhaft in Levallois, verheiratet, zwei Kinder.«
Danglard warf Adamsberg einen fragenden Blick zu.
»Schulbildung?« fragte Adamsberg zweifelnd.
Danglard klapperte auf der Tastatur herum.
»Mit dreizehn wird er auf den beruflichen Schulzweig geschickt. Scheitert beim Abschluß seiner Lehre als Bauklempner. Gibt auf, lebt von Sportwetten und baut Mofas zusammen, die er unter der Hand weiterverkauft. Bis zu der Prügelei, bei der er einen Kunden fast umbringt, als er ihm aus nächster Nähe das Mofa entgegenschleudert. Dann Knast.«
»Die Eltern?«
»Eine Mutter, angestellt in einer Kartonfabrik in Périgueux.«
»Geschwister?«
»Ein älterer Bruder, Nachtwächter in Levallois. Über ihn hat er die Anstellung gefunden.«
»Das läßt wenig Raum zum Lernen. Ich kann mir nicht vorstellen, wie Christian Laurent Taveniot Zeit und Mittel gefunden haben soll, Latein zu lernen.«
»Ein Autodidakt?« schlug jemand vor.
»Ich kann mir nicht vorstellen, wie ein Kerl, der seine Wut abreagiert, indem er mit Mofas wirft, dazu kommen sollte, Altfranzösisch von sich zu geben. Da hätte er binnen zehn Jahren seine Methode gründlich geändert.«
»Also?« fragte Danglard enttäuscht.
»Zwei Männer sollen das überprüfen. Aber ich glaube nicht daran.«
Danglard schaltete den Computer auf Standby und folgte Adamsberg in dessen Büro.
»Ich habe ein Problem«, erklärte er.
»Was ist los?«
»Ich habe Flöhe.«
Adamsberg war überrascht. Es war das erste Mal, daß Danglard, ein diskreter und schamhafter Mensch, über häusliche Hygienesorgen sprach.
»Öffnen Sie pro zehn Quadratmeter eine Desinfektionskartusche, mein Lieber. Gehen Sie zwei Stunden raus, kommen Sie zurück, und lüften Sie durch, das funktioniert sehr gut.«
Danglard schüttelte den Kopf.
»Es sind Flöhe von Laurion«, präzisierte er.
»Wer ist Laurion?« fragte Adamsberg lächelnd. »Ein Händler?«
»Scheiße, Rene Laurion ist der Tote von gestern.«
»Entschuldigung«, sagte Adamsberg. »Sein Name war mir entfallen.«
»Na, dann schreiben Sie ihn sich auf, Herrgott noch mal. Ich habe mir diese Flöhe bei Laurion eingefangen. Abends in der Brigade hat es angefangen zu jucken.«
»Verdammt, was soll ich Ihrer Meinung nach tun, Danglard? Der Typ war eben weniger gepflegt, als es den Anschein hatte. Oder er hat sich in seiner Werkstatt welche eingefangen. Was kann ich dafür?«
»Herrgott noch mal!« rief Danglard, der allmählich wütend wurde. »Sie selbst haben erst gestern der Mannschaft gesagt: Die Pest wird über Flohbisse übertragen.«
»Hm«, bemerkte Adamsberg und musterte seinen Stellvertreter eingehend. »Ich verstehe, Danglard.«
»Sie sind heute vormittag ziemlich langsam.«
»Ich habe wenig geschlafen. Sind Sie sich sicher, daß es sich um Flöhe handelt?«
»Ich kann einen Flohbiß von einem Mückenstich unterscheiden. Ich habe Bisse in der Leiste und unter den Achseln, die Flecken sind so groß wie mein Fingernagel. Ich habe sie erst heute morgen entdeckt und noch keine Zeit gehabt, die Kinder zu untersuchen.«
Adamsberg merkte, daß Danglard ernsthaft besorgt war.
»Was befürchten Sie, mein Lieber? Was ist los?«
»Laurion ist an der Pest gestorben, und ich habe mir Flöhe bei ihm eingefangen. Ich habe vierundzwanzig Stunden, um zu reagieren, oder es ist vielleicht zu spät. Dasselbe gilt für die Kleinen.«
»Herrgott, fallen Sie etwa auf den Trick herein? Erinnern Sie sich
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