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Fliehe weit und schnell

Fliehe weit und schnell

Titel: Fliehe weit und schnell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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erkennt man auch die echten unberührten Türen nicht mehr. Wir werden dann niemanden mehr schützen können. Und der Pestbereiter wird umherspazieren können, wie es ihm gefällt, ohne daß ihn auf jedem Treppenabsatz ein Bulle erwartet. Dann kann er sogar am hellichten Tag malen, ohne sich mit den Eingangscodes herumzuärgern. Schließlich können wir nicht Tausende von Leuten festnehmen, die etwas auf ihre Türen malen. Begreifen Sie jetzt, warum er das macht, Danglard? Er manipuliert die öffentliche Meinung, weil ihm das entgegenkommt, weil er sie braucht, um die Bullen loszuwerden. Er ist scharfsinnig, Danglard, scharfsinnig und pragmatisch.«
    »Scharfsinnig? Nichts hat ihn gezwungen, diese verdammten Vieren zu malen. Nichts hat ihn gezwungen, seine Opfer zu isolieren. Das ist eine Falle, die er sich selbst gestellt hat.«
    »Er wollte, daß man versteht, daß es sich um die Pest handelt.«
    »Dafür hätte er doch bloß hinterher ein rotes Kreuz zu malen brauchen.«
    »Das stimmt. Aber er verbreitet eine selektive Pest, nicht eine allgemeine. Er sucht sich seine Opfer aus und ist fest entschlossen, diejenigen, die mit ihnen in Berührung kommen, vor Ansteckung zu schützen. Auch das ist pragmatisch und überlegt.«
    »Aber nur innerhalb seiner Welt des Irrsinns. Er könnte auch töten, ohne diese verdammte Pest von außerhalb der Zeit zu inszenieren.«
    »Er will nicht selbst töten. Er will, daß die Leute getötet werden. Er will die wirkende Kraft sein, die den Fluch steuert. Das muß für ihn ein gewaltiger Unterschied sein. Er fühlt sich nicht verantwortlich.«
    »Verdammt noch mal, aber die Pest! Das ist doch grotesk. Wo kommt der Kerl her? Aus welcher Welt? Aus welchem Grab?«
    »Wenn wir das verstanden haben, dann haben wir ihn, Danglard, ich sagte es schon einmal. Grotesk ist es sicherlich. Aber unterschätzen Sie diese alte Pest nicht. Sie ist noch immer virulent und interessiert bereits sehr viel mehr Leute, als sie sollte. Grotesk, vielleicht, mit ihren zerfetzten alten Kleidern, aber nicht amüsant. Grotesk, aber furchtbar.«
     
    Während er mit dem Auto Richtung Avenue de Suffren fuhr, rief Adamsberg den Entomologen an, um ihn mit einem Meerschweinchen in die Wohnung des neuen Opfers in der Rue du Temple zu schicken. In den Wohnungen von Jean Viard und François Clerc hatte man Nosopsyllus-fasciatus-Exemplare gefunden, vierzehn bei dem ersten und neun bei dem zweiten, plus ein paar in den Kleiderbündeln, die der Pestbereiter neben den Leichen abgelegt hatte. Alle gesund. Alle aus einem dicken elfenbeinfarbenen Umschlag, der mit einem Messer aufgeschlitzt worden war. Sein zweiter Anruf galt der Nachrichtenagentur AFP Jeder, der einen solchen Umschlag erhielte, solle sich sofort mit der Polizei in Verbindung setzen. Der Umschlag solle mittags in den Fernsehnachrichten gezeigt werden.
    Betrübt betrachtete Adamsberg den nackten Körper der jungen Frau, der von der Strangulation entstellt und fast gänzlich mit Kohlenstaub und dem Schmutz des Lieferwagens bedeckt war. Ihre Kleider waren zu einem kleinen, anrührenden Haufen an ihrer Seite aufgeschichtet. Man hatte die Avenue gesperrt, um Schaulustige abzuhalten, aber es waren bereits Hunderte von Menschen an ihr vorbeigelaufen. Es würde unmöglich sein, die Information zurückzuhalten. Traurig steckte er die Fäuste in die Taschen. Er hatte jegliche Klarsicht verloren, es gelang ihm nicht mehr, zu verstehen, zu spüren, diesen Mörder zu erfassen. Der Pestbereiter hingegen legte eine außerordentliche Effizienz an den Tag, trompetete seine Botschaften heraus, beherrschte die Presse und tötete seine Opfer, wo er wollte und wann er wollte, ungeachtet eines enormen Polizeiaufgebots, das ihn eigentlich von allen Seiten hätte einkreisen sollen. Vier Tote, die Adamsberg nicht hatte verhindern können, und das, obwohl seine Wachsamkeit lange vorher geweckt worden war. Wann übrigens? Beim zweiten Besuch von Maryse, der Mutter am Rande des Nervenzusammenbruchs. Der Augenblick, an dem er sich erstmals Gedanken gemacht hatte, stand deutlich vor seinen Augen. Aber er wußte nicht mehr, wann er den Faden verloren, in welchem Moment er sich im Nebel verirrt hatte, ohnmächtig und von Informationen überschwemmt.
    Er betrachtete die junge Marianne Bardou, bis man ihren Körper in den Wagen lud, gab ein paar kurze Befehle und lauschte zerstreut den Berichten seiner Leute, die aus der Rue du Temple kamen. Die junge Frau war gestern abend nicht ausgegangen,

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