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Fliehe weit und schnell

Fliehe weit und schnell

Titel: Fliehe weit und schnell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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ruf die Mieter zusammen.«
    Während Lizbeth ihre Schäfchen um sich versammelte, entfernte sich Decambrais von der Bar und rief Adamsberg an.
    »Kommissar, hier ist dicke Luft«, sagte er. »Die Leute verlieren den Kopf.«
    »Hier auch«, erwiderte Adamsberg von seinem Tisch in der irischen Bar. »Wer Quote sät, wird Panik ernten.«
    »Was werden Sie tun?«
    »Wiederholen und noch mal wiederholen, daß die drei Männer ermordet wurden. Wer sagt was in Ihrer Umgebung?«
    »Lizbeth hat schon Schlimmeres erlebt und bewahrt einen kühlen Kopf. Le Guern ist es eigentlich egal, er versucht, seinen Broterwerb zu verteidigen, da müssen schon stärkere Stürme kommen als der hier, um ihn zu erschüttern. Bertin scheint mir ziemlich ins Wanken gebracht, Damas versteht überhaupt nichts, und Marie-Belle ist gereizt. Der Rest denkt, wie vorauszusehen war: Man verheimlicht uns alles, man sagt uns nichts, und die Jahreszeiten sind auch nicht mehr das, was sie mal waren. Erinnern sie sich an die Nachricht von neulich: Wie wenn der Winter warm ist, statt kalt zu sein; der Sommer kühl statt warm, und ebenso der Frühling und der Herbst.«
    »Da werden Sie alle Hände voll zu tun haben, Berater.«
    »Sie auch, Kommissar.«
    »Ich weiß schon nicht mehr, wie viele Hände ich habe.«
    »Was gedenken Sie jetzt zu tun?«
    »Ich gedenke schlafen zu gehen, Decambrais.«
     

22
     
    Am Freitagmorgen um acht Uhr wurden zwölf Mann zur Verstärkung der Abteilung Kapitalverbrechen beordert, des weiteren wurden eiligst fünfzehn zusätzliche Telefonanschlüsse installiert, um die Anrufe entgegennehmen zu können, die von den überlasteten Kommissariaten der verschiedenen Arrondissements an die Brigade weitergeleitet wurden. Mehrere tausend Pariser forderten Informationen darüber, ob die Polizei hinsichtlich dieser Toten die Wahrheit gesagt habe oder nicht, ob Vorsichtsmaßnahmen zu treffen seien und wie die Anweisungen lauteten. Die Präfektur hatte allen Kommissariaten den Befehl erteilt, jeden Anruf ernst zu nehmen und vor allem auf die Paniker, die zu den ersten gehören, die Chaos verbreiten, aufmerksam einzugehen.
    Die Morgenzeitungen würden nicht gerade dazu beitragen, die wachsende Besorgnis zu dämpfen. Adamsberg hatte die wichtigsten Zeitungen auf seinem Schreibtisch ausgebreitet und überflog eine nach der anderen. Die Journalisten gaben im großen und ganzen den Inhalt der Fernsehnachrichten vom Vorabend wieder, ergänzt durch zusätzliche Kommentare und Fotos; viele Blätter zeigten auf der Titelseite die spiegelverkehrte Vier. Manche dramatisierten das Ereignis, andere waren zurückhaltender und hatten sich bemüht, gemäßigtere Schlagzeilen zu finden. Alle Zeitungen jedoch waren vorsichtig genug, ausführlich die Worte von Generalkommissar Brézillon zu zitieren. Und alle gaben die Texte der beiden letzten ›Speziellen‹ wieder. Adamsberg las sie noch einmal und versuchte sich in einen Menschen hineinzuversetzen, der sie in ihrem nun bekannten Kontext, das heißt in Verbindung mit den drei schwarzen Leichen, zum erstenmal vor Augen hatte:
     
    Diese Geißel ist immer bereit und untersteht dem Befehl Gottes, der sie schickt und sie wieder verschwinden läßt, wann es ihm gefällt.
     
    Plötzlich geht das rasch bestätigte Gerücht um, daß die Pest in der Stadt in zwei Straßen zugleich ausgebrochen sei. Es hieß, die beiden (...) seien mit den deutlichsten Zeichen des Übels aufgefunden worden.
     
    In diesen wenigen Zeilen lag genug, um die Leichtgläubigsten aus dem Takt geraten zu lassen - etwa achtzehn Prozent der Bevölkerung, so viele Menschen jedenfalls hatten sich jüngst vor der Jahrtausendwende gefürchtet. Adamsberg war überrascht, wieviel Raum die Presse der Sache einräumte und wie schnell der Funken zu dem hell lodernden Feuer geworden war, das er schon seit der Ankündigung des ersten Toten befürchtet hatte. In den Artikeln dieser Journalisten erstand die Pest, jene verstaubte, überlebte, in der Tiefe der Geschichte versunkene Geißel, mit fast ungebrochener Vitalität aufs neue.
    Adamsberg warf einen Blick auf die Wanduhr und bereitete sich auf die Pressekonferenz vor, die er auf Anordnung der Generaldirektion um neun Uhr abhalten sollte. Er mochte weder Anordnungen noch Pressekonferenzen, aber ihm war bewußt, daß die Situation sie erforderte. Die Gemüter beruhigen, Fotos von den Würgemalen zeigen, Gerüchte zerstreuen, so lauteten die Anweisungen. Der Gerichtsmediziner war zur Verstärkung

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