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Fliehe weit und schnell

Fliehe weit und schnell

Titel: Fliehe weit und schnell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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habe?«
    »Nein, das stimmt«, erwiderte Bertin und hob das Kinn. »Über die Toutins, meine Familie mütterlicherseits.«
    »Nun, dann verzichten Sie auf diese Vier, Bertin, wenn Sie nicht wollen, daß Ihre ruhmreichen Vorfahren sich mit einem Tritt in den Hintern von Ihnen lossagen.«
    Bertin schloß die Tür hinter ihm, das Kinn noch immer in die Höhe gereckt und von plötzlicher Entschlossenheit erfüllt. So lange er lebte, würde nicht eine Vier auf der Tür des Viking erscheinen.
     
    Eine halbe Stunde später hatte Lizbeth die Mieter zum Abendessen versammelt. Decambrais bat um Ruhe, indem er mit dem Messer an sein Glas schlug, eine Geste, die er als etwas ordinär empfand, aber bisweilen für notwendig hielt. Castillon verstand den Ordnungsruf und verstummte sofort.
    »Ich pflege meinen Gästen« - Decambrais war dieser Titel lieber als die allzu direkte Bezeichnung ›Mieter‹ -»nicht vorzuschreiben, wie sie sich verhalten sollen; sie sind absolute Alleinherrscher über ihre Zimmer«, begann er. »Dennoch bitte ich angesichts der besonderen aktuellen Umstände einen jeden, der kollektiven Beeinflussung zu widerstehen und darauf zu verzichten, einen wie auch immer gearteten Talisman auf seine Tür zu malen. Ein solches Zeichen würde dieses Haus entehren. Da ich jedoch die individuellen Freiheiten respektiere, so hätte ich nichts dagegen einzuwenden, wenn jemand unter Ihnen sich unter den Schutz dieser Vier zu stellen wünschte. Ich wäre demjenigen jedoch dankbar, wenn er für die Zeit dieses Wahnsinns, in den uns der Pestbereiter hineinzuziehen sucht, an einen anderen Ort zöge. Ich will hoffen, daß niemand von Ihnen ein solches Vorhaben gutheißt.«
    Decambrais' Blick wanderte von einem Mitglied der schweigenden Tischgemeinschaft zum nächsten. Er bemerkte, daß Eva zögerte, schwankte, daß Castillon zwar wichtigtuerisch lächelte, dabei aber leicht beunruhigt wirkte, daß Joss das Ganze absolut schnuppe war und Lizbeth allein bei der Idee, man könne eine Vier in ihrer Umgebung anbringen, bereits vor Wut kochte.
    »Erledigt«, drängte Joss, der Hunger hatte. »Einstimmige Entscheidung.«
    »Naja«, sagte Eva, zu ihm gewandt, »wenn Sie nicht all diese Teufelsbotschaften vorgelesen hätten...«
    »Der Teufel macht mir keine Angst, meine kleine Eva«, erklärte Joss. »Wellen dagegen schon, reden Sie mir nicht davon, das ist echte Angst. Aber der Teufel, die Vieren und all das verworrene Zeug können Sie getrost den Hasen geben. Bretonenehrenwort.«
    »Das gilt«, sagte Castillon, den Joss' Rede aufgebaut hatte.
    »Das gilt«, wiederholte Eva leise.
    Lizbeth schwieg und teilte die Suppe aus. Jeder bekam eine reichliche Portion.
     

25
     
    Adamsberg rechnete damit, daß der Sturm sich am Sonntag durch die dann auf ein Minimum reduzierte Presse ein wenig legen würde. Die letzte Schätzung vom Vorabend hatte ihn verstimmt, ohne ihn jedoch zu erstaunen: vier- bis fünftausend mit Vieren markierte Gebäude in Paris. Auf der anderen Seite ließ der Sonntag den Parisern genügend freie Zeit, sich um ihre Wohnungstür zu kümmern, und die Zahl konnte daher dramatisch ansteigen. Im Grunde hing alles vom Wetter ab. Sollte es an diesem 22. September schön werden, würden sie die Stadt verlassen, und die Geschichte könnte sich ein wenig setzen. Sollte es trübe werden, wäre die Stimmung anfälliger, und die Türen würden es abkriegen.
    Nach dem Aufwachen sah er, ohne sich aus dem Bett zu bewegen, als erstes zum Fenster. Es regnete. Er verschränkte die Arme über den Augen und tröstete sich mit der Absicht, keinen Fuß in die Brigade zu setzen. Falls der Pestbereiter in der vergangenen Nacht trotz verstärkter Überwachung der ersten fünfundzwanzig Gebäude zugeschlagen hätte, würde die Bereitschaft wissen, wo sie ihn finden könnte.
    Nachdem er geduscht hatte, legte er sich vollständig angezogen aufs Bett und wartete ab, die Augen zur Decke gerichtet. Seine Gedanken schweiften umher. Um halb zehn stand er auf und dachte, der Tag sei zumindest an einer Front gewonnen. Der Pestbereiter hatte nicht getötet.
    Wie am Tag zuvor verabredet, traf er sich mit dem Facharzt für Psychiatrie, Ferez, der ihn am Seinequai der Ile Saint-Louis erwartete. Adamsberg mochte die Vorstellung nicht, in dessen Praxis eingeschlossen auf einem Stuhl festzusitzen, und hatte es geschafft, die Verabredung nach draußen zu verlegen, wo sie aufs Wasser sehen konnten. Ferez pflegte sich den Launen seiner Patienten nicht zu

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