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Fliehganzleis

Fliehganzleis

Titel: Fliehganzleis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederike Schmöe
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sagen Sie schon«, insistiert Larissa. »Sie haben vorhin gesagt: ›Danke für den netten Ausflug.‹«
    »Es gehört zu unserer Strategie, zu wissen, womit sich die Fluchtwilligen beschäftigen.«
    »Sie lassen mich beobachten?«
    »Glauben Sie etwa, wir wollen nicht sicher sein, ob wir in eine Falle geraten?«
    »Was ist, wenn etwas schiefgeht?«
    »In der Mehrzahl der Fälle klappt alles. Wir haben einen Lebenslauf für Sie ausgearbeitet. Schauen Sie in die Einkaufstasche. Sie lernen das alles auswendig und verbrennen die Zettel. Okay?«
    »Und wenn es nicht klappt?«
    »Sie müssen zuversichtlich sein.« Udo wirft ihr einen warnenden Blick zu. »Ihnen gehen die Nerven durch, wenn Sie kein Vertrauen mitbringen. Der Läufer begleitet Sie zur Autobahn. Auch der Fahrer ist ein Mann unseres Vertrauens. Er hat diese Touren schon oft gefahren.«
    »Woher weiß ich, dass er der Läufer ist?«
    »Sie verlassen Ihre Wohnung um zehn nach halb neun am Abend. Kleiden Sie sich, als wollten Sie zu einem Fest gehen. Ein hellblauer Trabi wird vor Ihrem Haus halten. Auf dem Beifahrersitz liegt ein Strauß gelber Gerbera. Sie sagen: ›Was für ein schöner Strauß. Sabine wird sich freuen. Sie liebt Gerbera über alles.‹ Der Läufer antwortet: ›Und unser Geschenk erst. Damit rechnet sie nicht, nicht in 100 Jahren.‹ Können Sie sich das merken?«
    Larissa nickt. Sie hat sich schon ganz andere Sachen gemerkt.
    Als sie sich, den Kopf voller Instruktionen, an der Thomaskirche von Udo verabschiedet, jagen die Gedanken durch ihr Hirn:
    Es geht los.
    Noch kann ich alles abbrechen.
    Nur noch eine Woche. Noch siebenmal schlafen gehen. Noch siebenmal in der DDR aufwachen. Dann nie wieder. Nie wieder.
    Das ›Nie wieder‹ hallt in ihren Ohren, während sie kreuz und quer durch die Stadt läuft, ohne etwas zu sehen oder zu hören. Blind und taub für das wirkliche Leben, geht sie durch, was sie noch wird tun müssen. Und plötzlich schmerzt der so lang ersehnte Aufbruch. Voller Wehmut denkt sie an die vergangenen Tage. Die Brombeersträucher, von denen sie sich ein paar halb reife Früchte pflückte. Der Bach, an dem sie gestern rastete. Die verträumten Datschas, an denen sie mit dem Rad vorbeifuhr.
    Ein paar Stunden später schwindet die Betäubung von selbst. Larissa löst die Haarklammern und schüttelt ihre lange Mähne aus. Sie wird nach Hause gehen und sich konzentriert an die Arbeit machen. Es gibt viel zu tun. Sie muss Wolfgang Bescheid geben. Den fremden Lebenslauf lernen. Ausmisten und vernichten, was der Stasi nicht in die Hände fallen soll. Denn die wird rumschnüffeln. Das ist sicher.

24
    In der Nacht auf Sonntag wurde es empfindlich kalt. Ich wachte auf, weil ich fror, und suchte im Dunkeln nach meinem Schlafanzug, während Nero in aller Nacktheit tief und fest weiterschlief.
    Ich kuschelte mich an ihn. Seine Wärme tat mir gut. Ich wollte nicht daran denken, dass ich sie in Kürze vermissen würde. Unsere Zweisamkeit hier im Schloss war begrenzt. Nero musste am Montag früh weg. Und was später sein würde, dazu wusste auch Pythia nichts zu sagen.
    Der alte Gerrit Binder mit seinem überlangen Körper ging mir nicht aus dem Sinn. Er erinnerte mich an meinen Vater. Der war schon lange tot. Auch er war mager und krank geworden vom Warten auf die Liebe einer Frau, die nicht erwidert wurde. Auf die Liebe meiner Mutter.
    Meine Mutter war eine tüchtige Person mit Unternehmergeist, die nie stillsaß und sich einbrachte, wo immer man sie brauchte. Nur nicht bei ihrem Ehemann. Nachdem mein Bruder Janne und ich aus dem Gröbsten heraus waren, wie man immer sagte, vergrub sie sich in Arbeit und war zu Hause selten gesehen. Das brachte meinen Vater erst in Rage, doch als er im Lauf der Jahre bemerkte, dass seine Chancen, von ihr noch wahrgenommen zu werden, zerrannen, überantwortete er sich dem Schnaps und brachte sich schließlich mit einer Überdosis Pflanzengift um.
    Wir schreiten durch Herbstlaub, als er beerdigt wird, durch nasses, glitschiges Zeug, das an den Schuhen klebt.
    Wir, das sind mein großer Bruder Janne, meine Mutter und ich.
    Meine Mutter scheint zum ersten Mal zu verstehen, welchen Anteil sie am Unglück ihres Mannes hat, der immerhin unser Vater war.
    Der Regen peitscht über die Grube im Boden.
    Tod.
    Schwarz. Feucht. Kalt.
    Wir müssen mit einem Schäufelchen Erde auf den Sarg werfen. Das schwarze Gewand des Pfarrers klafft im Wind auf. Aus dem Weihrauchfässchen steigt Qualm.
    Mir wird schlecht von dem

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