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Fliehganzleis

Fliehganzleis

Titel: Fliehganzleis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederike Schmöe
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Aufträge, als ich annehmen konnte.«
    »Sie haben Ihren Lebensunterhalt durch die Fluchthilfe verdient?«
    »Wenn Sie so wollen.«
    Klar, Torn war keiner, der einfach ›ja‹ oder ›nein‹ sagte.
    »Wie haben Sie Larissa ausgeschleust?«
    »Larissa Roth war die geeignete Kandidatin für die Flugzeugtour.« Er hielt sein Glas an die Wange. »Sie hatte gute Nerven und sprach keinen Dialekt. Das wäre in ihrem Fall fatal gewesen.«
    »Sie selbst haben Ihren Slang ziemlich gut im Griff«, sagte ich.
    Er lächelte. »Dr. Larissa Roth, wie sie damals hieß, trat mit meiner Organisation in Kontakt. Ich hatte damals ein paar Leute in Ostberlin sitzen, die imstande waren, Verbindungen zu Fluchtwilligen herzustellen. Frau Roth war Ärztin, Gynäkologin, und sie unterzeichnete einen Schuldschein über 25.000  DM . Sie wollte nach ihrer Flucht im Westen eine Praxis eröffnen und hatte Aussichten, ihre Schulden bald tilgen zu können.« Er schwieg. Sein Blick schweifte zu dem Mann mit dem Notebook. »Es mag Ihnen zynisch erscheinen, eine solche Serviceleistung gegen Geld anzubieten. Freiheit gegen Schuldschein, das klingt in den Ohren der Gutmenschen unwürdig. Aber Gutmenschen lösen keine Probleme. Die Flüchtlinge hatten Vertrauen zu mir und meiner Organisation. Andere Fluchthelfer handelten aus Hass auf die DDR . Viele von ihnen hatten dort selbst eingesessen. Trachteten nach Rache. Sie wollten der DDR bewusst schaden und behandelten die Flüchtlinge oft von oben herab, schrieben deren Ängste in den Wind oder verlachten sie gar dafür. Ich hingegen leistete seriöse Arbeit für gutes Geld.«
    »Von welchen Größenordnungen sprechen wir?«
    »Zwischen 1969 und 1976 kamen jährlich ungefähr 5000 bis 6000 illegale Flüchtlinge in den Westen. Natürlich nicht alle über meine Organisation. Der Minimalpreis belief sich auf 10.000  DM .«
    Ich rechnete nach. Kein schlechter Verdienst, wenn Torn pro Jahr nur 100 Flüchtlingen zum Minimalpreis weitergeholfen hatte. Der Mann musste in den fetten Jahren Millionen eingenommen haben.
    »Ich hatte damals eine Reihe von, sagen wir, ungewöhnlichen Fluchtwegen aufgetan. Sie führten meist über das osteuropäische Ausland. Die DDR -Bürger besorgten sich Visa für die Tschechoslowakei oder Bulgarien. Dort trafen sich meine Mitarbeiter mit ihnen, um sie vor Ort vorzubereiten und bis zu dem Zeitpunkt zu betreuen, an dem es losging. Ab dann hatte jeder meiner Leute seine spezielle Aufgabe. Jede Tour war maßgeschneidert, wurde tagelang trainiert. Es ging so gut wie nie etwas schief.«
    »Was bedeutet ›maßgeschneidert‹?«, warf ich ein.
    »Es gibt Menschen, die es nicht ertragen, in engen Räumen festzustecken. Solche Flüchtlinge durfte man nicht in ein mikroskopisches Versteck in einen LKW pferchen. Sie wären durchgedreht und hätten das ganze Unternehmen gefährdet. Es gab ungewöhnlich großgewachsene Flüchtlinge. Einmal eine Frau, die im achten Monat schwanger war. Da kamen solche Verstecktouren nicht infrage. Je nach den Voraussetzungen ließ ich mir etwas einfallen.« Er lachte und sah dabei jungenhaft aus. »Einmal bestellte ich in Rumänien zwei Bären, die in einem Käfig nach Westdeutschland transportiert wurden. Unter dem Käfig befand sich eine Art Zelle, in der eine Familie mit zwei Kindern geholt wurde. Niemand hat etwas bemerkt.«
    »Wie lief die Flugzeugtour?«
    »In den späten 60ern entwickelte sich der DDR -Tourismus in die sozialistischen Bruderstaaten. Sonntags in Prag warteten gegen 9 Uhr westliche und östliche Passagiere im Transitraum auf drei fast zeitgleiche Flüge. Einer ging mit der Interflug nach Schönefeld in Ostberlin, einer nach Zürich mit Swiss Air, und Pan Am flog nach Düsseldorf. Die fluchtwilligen DDR -Bürger reisten aus anderen Ostblockländern an, um in Prag in den Flieger nach Schönefeld umzusteigen. Mein Kurier sammelte deren Papiere ein, die Flüchtlinge bekamen einen gefälschten Berliner Personalausweis, Flugtickets und Gepäckquittungen für den Flug nach Düsseldorf. Aus DDR -Bürgern wurden Westberliner.« Er winkte der Kellnerin und orderte einen zweiten Gin Tonic. »Selbstverständlich mussten sie sich umziehen. Westliche Kleidung, vor allem Schuhe, waren ein Muss. Die Schuhe damals im Osten waren das Grauen!«
    Ich zog die Beine an. Meine schmutzverkrusteten Sneakers brauchte Torn nicht in Augenschein zu nehmen.
    »Die Vorbereitungen verlangten einen ungeheuren Aufwand, weil wir regelmäßig Kundschafterflüge

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