Fliehganzleis
mich sprechen?«, fragte er.
»Wer sagt das?« Ich hörte das Hecheln einer englischen Bulldogge im Telefon. Meinen eigenen Atem.
»Kommen Sie ins Hilton Hotel am Englischen Garten. Ich warte in der Lobby auf Sie.« Er hatte aufgelegt, ehe ich weitere Fragen stellen konnte.
In meinem Schreibtisch verwahrte ich sämtliche Stadtpläne und Landkarten, die ich je für meine berufliche Tätigkeit als Reisejournalistin benötigt hatte. Der Falk-Plan von München lag obenauf.
Was wollte Torn von mir?
Ich versuchte es wieder bei Nero, aber er meldete sich weder auf seinem Handy noch am Festnetz in seiner Wohnung. Es war nach neun. Ich würde eine Stunde nach München brauchen, eine Stunde wieder zurück … vielleicht könnte ich bei Nero übernachten.
Mein Kopf brummte. Woher wusste Torn überhaupt, dass es mich gab?
Ich stieg in meinen Alfa und brauste los.
Das Hilton lag auf der Ostseite des Englischen Gartens, ein mächtiger Komplex, von dessen Dachrestaurant aus man einen Traumblick zur Frauenkirche und zum alten Peter haben musste. Ich parkte ein Stück die Straße hinunter und lief zurück, überquerte die Brücke, unter der der Eisbach schäumte.
Drei Taxen hielten vor dem Portal. Zwei Scheichs inklusive weiblicher Gefolgschaft in schwarzen Tschadors und einer stattlichen Anzahl Kinder jeglichen Alters stiegen aus, wurden stilsicher von einem Mann im dunklen Anzug empfangen und ins Hotel geleitet. Zwei Typen in Livree mühten sich mit dem Gepäck.
»Einprägsam, nicht?«, sagte eine männliche Stimme hinter mir.
»Chris Torn?«
Er war groß, schlank und sportlich, trug einen grauen Anzug und einen dezenten dunkelvioletten Schlips.
»Sie sind sicher Frau Laverde. Kommen Sie, ich lade Sie zu einem Espresso ein. Oder möchten Sie ein Glas Wein?« Der Hauch eines sächsischen Akzentes schwebte seinen Worten nach.
Er ging mir voraus durch die Drehtür in die Lobby. Die Scheichfamilie stand diskutierend an der Rezeption.
»Die Herrschaften kommen zur medizinischen Behandlung nach München«, erklärte Torn mit einem Kopfnicken, während wir über den dicken Teppich wateten. »Mieten in einer unserer großen Kliniken ein ganzes Stockwerk. Während sich die Herren neue Hüften, Kniegelenke und sonstige Ersatzteile einbauen lassen, ziehen ihre schwarz gewandeten Frauen durch die City und lassen die Kassen klingeln. Man stellt sich im Einzelhandel darauf ein und beschäftigt in der Saison Arabistik-Studentinnen, damit die Damen bei der Wahl ihrer Dessous muttersprachliche Beratung haben.«
Ich ahnte, was er mir damit sagte. Er steckte selber in diesem Geschäft. Einer wie er knackte alle Märkte.
»Sie waren Fluchthelfer«, sagte ich und ließ mich in einen Lobbysessel sinken.
Torn winkte der Kellnerin im Hosenanzug, die unverzüglich mit einer in Leder gebundenen Getränkekarte auf uns zustürmte.
»Einen Espresso, bitte«, sagte ich.
»Einen Gin Tonic«, verlangte Torn. »Genau. Dafür interessieren Sie sich.«
»Wie kamen Sie an meinen Namen und meine Telefonnummer?«
»Ist das wichtig?«
»Möglicherweise.«
Er sah mich lange an. Sein Gesicht war merkwürdig krumm, als sei die linke Seite verkürzt. Der Eindruck wurde noch durch den tief sitzenden Seitenscheitel verstärkt.
»Ich glaube nicht, dass es wichtig ist«, sagte er. »Ich habe Larissa Roth ausgeschleust. Das war 1974. Höchste Eisenbahn.«
»Was meinen Sie damit?«
»Sie hatte schon einen gescheiterten Fluchtversuch und ein paar Monate Stasi-Haft hinter sich.«
Ich überlegte. Torn würde mir seine Version in die Feder diktieren und dann von dannen ziehen. Wenn ich etwas aus ihm herausbekommen wollte, was er mir nicht von sich aus zu sagen beabsichtigte, musste ich schnell sein. Ich zog Notizbuch und Bleistift aus meiner Schultertasche, als die Kellnerin die Getränke brachte und die Rechnung diskret in einem Mäppchen danebenlegte.
»Machen Sie sich ruhig Notizen, aber bitte nehmen Sie unser Gespräch nicht auf.« Torn sah der Bedienung nach. Ein paar Tische weiter tippte ein Mann auf seinem Notebook.
»Wie funktionierte Ihre damalige Arbeit?«, begann ich.
»Ich betrieb die Fluchthilfe kommerziell. Und professionell. Ich verlangte eine Menge Geld, je nach Aufwand, aber ich hatte eine sehr hohe Erfolgsquote. Verhaftungen gab es bei mir so gut wie nicht. Keine Spitzel. Obwohl die Stasi immer wieder versucht hat, Leute bei mir einzuschleusen. Mein Sicherheitsstandard sprach sich unter den Fluchtwilligen herum. Ich hatte stets mehr
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