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Fliehganzleis

Fliehganzleis

Titel: Fliehganzleis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederike Schmöe
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verfärbte sich nun ebenfalls tintenblau. Dazu quälten mich unerklärliche Kopfschmerzen.
    Außerdem fehlte mir Nero.
    Der Zettel, den er in der Küche hinterlassen hatte, um mir anzukündigen, dass er am Abend wiederkäme, war lieb gemeint und brachte mich zum Heulen. Ich war ein ziemliches Wrack.
    Aus diesem Grund hatte ich mich nicht an ihn gewöhnen wollen: Weil die Leere so schmerzte. München lag nicht am Ende der Milchstraße, aber von meiner Einsiedelei bis zu seiner Schwabinger Wohnung oder zum LKA brauchte er mindestens eine Stunde mit dem Auto. Und nun, in den letzten Ferientagen, da die Leute wie die Wespen umherschwirrten, um Vorbereitungen für das neue Schuljahr zu treffen, schwoll der Verkehr noch weiter an.
    Den Vormittag über irrte ich wie betäubt durch mein Haus, schaltete den Anrufbeantworter zwischen mich und die Welt und erschrak zu Tode, als das Telefon klingelte. Lynn quatschte mir aufs Band; ob ich mich nicht doch für die Bayerische Wellnesswelt erwärmen könnte. Die Reportage sollte noch im Herbst erscheinen, quasi als Werbung für die Winterangebote der Hotellerie, und ich müsste ja auch gar nicht weit reisen dafür, kein Vergleich zu früher. Der zweite Anruf kam von Juliane, und ich ging dran.
    »Gib dich bloß nicht irgendwelchen verwirrten Stimmungen und Panikattacken hin!«, mahnte sie mich. »Sieh zu, dass du deinen Haushalt in Ordnung bringst und dich um die Gänse kümmerst.«
    »Rührend, wie du dich darum sorgst, dass mir vielleicht langweilig wird.«
    »Käseköpfchen. Ich fahre zu meiner Schwester. Es geht ihr gar nicht gut. Sie wird wunderlich auf ihre alten Tage.«
    »Ist sie nicht ein paar Jährchen jünger als du?«
    »Du kannst uns nicht eins zu eins vergleichen«, behauptete Juliane.
    »Richte ihr liebe Grüße von mir aus.« Wo Juliane recht hatte, hatte sie recht. Ihre Schwester entsprach in beinahe allem dem Bild einer alleinstehenden Dame um die 70; sie trug Jerseyhosen mit Gummizug, Dauerwellen und Gesundheitsschuhe. Alles Attribute, die Juliane komplett ablehnte. Juliane hatte etwas Wildes an sich. Sie erinnerte mich manchmal an einen Hagebuttenstrauch. Man pflückte ein paar von den reifen Früchten und hielt sie in der Hand, unschlüssig, was mit ihnen zu geschehen hatte. Zwar leuchteten sie verheißungsvoll in ihrem warmen Rot, aber einfach hineinbeißen, wie in einen Apfel, das ging nicht.
    Ich jedenfalls fühlte mich im Augenblick viel älter als 70, rundum elend, winselte über meine Schmerzen, heulte ohne Grund los und wusste nichts mit mir anzufangen. Die Kraftlosigkeit hielt mich sogar vom Essen ab. Ein schlimmes Zeichen bei einem Gourmand wie mir.
    Die Bruchstücke der Geschichten all der Menschen aus Larissas Umfeld stürzten auf mich herab und begruben mich unter sich. Trümmer aus fremden Schicksalen. Ich setzte mich mit einem Block und einer Box mit meinen grünen Lieblingsbleistiften an mein Barbrett und wartete zwei Stunden ab.
    Ich schrieb nichts.
    Kein Sterbenswort.
    Ich vermisste Nero.
    Ich fragte mich, ob wir ein Paar waren.
    Ich zerbrach mir den Kopf darüber, kam aber zu keinem Ergebnis.
    Ich schob Panik, Martha Gelbach könnte anrufen, um mir mitzuteilen, dass Larissa gestorben war.
    Einerseits wünschte ich der Gräfin Erlösung. Dann wieder sehnte ich sie ins Leben zurück. In der Unvereinbarkeit von beidem rieb ich mich auf.
    Gegen zwei Uhr kreuzte ein Polizist aus München bei mir auf und befragte mich zum x-ten Mal über den Unfallhergang. Er gab sich nett und einfühlsam. Aber ich spürte: Er glaubte mir nicht. Er und seine Kollegen hatten sich darauf eingeschossen, dass ich im Dunkeln über die Straße gelaufen war, ohne nach links und rechts zu schauen. Wie ein übereifriges Kind. Dass der Wagen ohne Licht unterwegs gewesen war, tat man als Einbildung ab. Ghostwriter hatten ja wohl Fantasie, nicht wahr? Es gab keine Zeugen des ›Unfalles‹, wie der Polizist es nannte, und dass Juliane keine Nummernschilder an dem VW gesehen hatte, bedeutete in den Augen der Staatsmacht nichts: Juliane war 77 und man musste damit rechnen, dass sie allmählich erblindete. Litten nicht alle in dem Alter an Grauem Star? Und waren nicht etliche von ihnen gar unzurechnungsfähig? Die Polizei hatte keine Zeugen aufgetrieben, die unsere Aussagen bestätigen konnten. Außerdem wäre ja alles glimpflich abgegangen, behauptete der Polizist.
    Ich dachte an die Thrombosegefahr, meine malträtierte Seele und an Larissa und schwieg. Der Mann legte mir ans

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